Historische Blaetter 3. (1921-1922)
Heinrich R. v. Srbik: Die deutsche Einheitsfrage in der Frankfurter Nationalversammlung
verfassungsrechtlich und praktisch lebensfähige Verhältnisse eines großdeutschen Nationalreiches nicht erdenken konnten, sondern in der Unlösbarkeit der Aufgabe lag die Ursache. Diesen Beweis haben wir noch zu erbringen. Die einzigen, die mit positiven Plänen auftraten, wie die deutschen Bundesländer Österreichs allein ohne völlige Zerstörung des Staates als ein Glied in den neuen Bundesstaat aufgenommen werden könnten, waren österreichische Demokraten. Zunächst der steiermärkische Abgeordnete Stremayr im Oktober 1848, dann G i s k r a iin Jänner 1849. Der Kaiserstaat Österreich sollte nach Stremayrs Meinung in vier Ländergruppen zerlegt und zum Staatenbunde umgewandelt werden, der nur durch die Person des Kaisers und durch einen .Vertrag dieser Staaten zusammengehalten wird. Der pragmatischen Sanktion dürfte Stremayr schwerlich' Rechtsdauer zuerkannt haben. Deutschösterreich ist zugleich Bestandteil des Bundesstaates Deutschland und des Staatenbundes Österreich, es untersteht im deutschen Bundesstaate nur einer beschränkten Souveränität des Kaisers von Österreich, vollsouveräne Rechtspersönlichkeit ist der Bundesstaat, verkörpert durch das Direktorium, das an seine Spitze gestellt wird, und das deutsche Parlament. Der Kaiser von Österreich verfügt hingegen vollsouverän über Gälizisch-, Ungarisch- und Italienisch - Österreich. Die Abgeordneten Deutschösterreichs, des Gebiets der habsburgischen Halbsouveränität, treten delegationsweise mit jenen der drei Gebiete der Vollsouveränität zu einem gesamtösterreichischen Reichsrate in .Wien zusammen und bestimmen die gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten der nichtdeut- schen Viertel Österreichs mit, ohne daß den letzteren ein gleiches Recht gegenüber Deutschösterreich zustünde. Und schließlich steht Deutschösterreich1 als Mitglied des deutschen Bundesstaates außer der besonderen staatsrechtlichen Verbindung mit dem übrigen Österreich noch1 in einem völkerrechtlichen ,wUmons.“verhältnis mit den drei nichtdeutschen Teilen Österreichs, da zwischen Deutschland und den fremdnationalen Gliedern der österreichischen Personalunion — eine solche schwebte Stremayr doch wohl vor — dieses in der Verfassung festgelegte dauernde Bündnis gefordert wird. Wir sehen: eine Fülle sich überkreuzender, in- und übereinandergreifender Rechtsordnungen; keine Andeutung über Bildung und Kompetenz des Reichsrates, der doch offenbar als gesetzgebende Körperschaft gedacht war; eine unhaltbare Dreifachheit besonders der Rechtsstellung Deutschösterreichs, eine tatsächliche Zerreißung der Staatspersönlichkeit Österreichs und Zerstörung der Verfügungsgewalt seines Herrschers über die Machtmittel des Staates, ein unklares Schweben zwischen Personal- und Real-