Historische Blaetter 3. (1921-1922)

Heinrich R. v. Srbik: Die deutsche Einheitsfrage in der Frankfurter Nationalversammlung

vertreten hat. Im Keime ist er von den Norddeutschen erstickt worden, und wieder traten sich schroff die Losungen Bundesstaat oder Staaten­bund und Personalunion oder Gesamtstaat Österreich gegenüber. Die wenigsten erkannten es, daß die Entscheidung über die deut­sche Zukunft im Oktober und November in Wien, nicht in Frank­furt gefällt wurde. Der Triumph der schwarz-gelben Armee über die Wiener schwarz-rot-goldene Revolution gab dem österreichischen Adler die Kraft zu neuem Fluge> er ließ sich nun, wie der steirische Demokrat Mareck sagte, keine Schnur mehr an die Füße binden, und das Kremsierer Regierungsprogramm Schwarzenbergs, das Öster­reichs Fortbestand in staatlicher Einheit als deutsches und europäisches Bedürfnis erklärte und von staatlicher Bestimmung der Beziehungen des verjüngten Österreichs und des verjüngten Deutschlands sprach, hatte in der Tat den Sinn, daß an der staatsrechtlichen Unversehrtheit der alten Präsidialmacht des Bundes nicht gerüttelt werden dürfe. Die geschichtliche Staatspersönlichkeit Österreichs trat dem revolutio­nären Schöpfungswillen Frankfurts entgegen, unter G'agern, dem neuen Reichsministerpräsidenten, und Schmerling, dem bedeutendsten Kopfe der Großdeutschen, nunmehr Menßhengens Nachfolger, als Fahnen­trägern vollzog sich die Gruppierung der beiden großen Parteien. Die südwestdeutschen Konstitutionellen, noch' immer in dem haltlosen Glauben an die Selbstvernichtung der preußischen Geschlossenheit befangen, treten den Erbkaiserlichen, den Anwälten des preußisch- deutschen engeren Reiches, zur Seite^ dieser Kerntruppe der Klein­deutschen schließt sich die Gruppe um Dahlmann und Waitz, da sie nun auf den Zerfall Österreichs nicht mehr rechnen kann, völlig an, und es bildete nach außenhin keinen wesentlichen Unterschied mehr, ob ein Teil der Kleindeutschen auf eine spätere großdeutsche Lösung der deutschen Frage hoffte, ein Teil die kleindeutsche Lösung als End­ziel ansah'. Gegenüber dem positiven Programm der Kleindeutschen wurden die Großdeutschen in die Verteidigung gedrängt, eigentlich nur durch die Verneinung des verengten Nationalstaates und seiner preußischen Hegemonie und durch das zunächst bloß grundsätzliche Streben, mindestens Deutschösterreich Deutschland zu bewahren, zu­sammengehalten . Die völlige Scheidung der Nationalversammlung vollzog sich' an Gagern s berühmtem zweiten Plane: dem des engeren und des weiteren Bundes. Wieder denkt G'agern an zwei Staaten, Deutsch­land und Österreich, aber sie bilden nicht mehr zwei Hälften eines mitteleuropäischen Großstaates, sondern, grundsätzlich1 selbständig, sind: sie durch eine Union (d. h. durch einen unbefristeten, völkerrecht­363

Next

/
Thumbnails
Contents