Historische Blaetter 2. (1921)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

Baron Hübner bemerkte er wohl in freundlichem Ton, jedoch seine Worte wiederholend, er wisse bestimmt, daß in Reichstadt gewisse Möglichkeiten in Erwägung gezogen worden seien. Dagegen äußerte er sich hierüber dem Grafen Chreptowitsch gegenüber schon mit einer gewissen Empfindlichkeit1. Als Andrássy dies erfuhr, telegraphierte er sofort an Hübner, Kaiser Wilhelm zu sagen, er, Andrássy, habe im Aufträge des Kaisers Franz Josef dem deutschen Botschafter Graf Stollberg schon vor einigen Wochen alles auf die Reichstadter Ab­machungen Bezügliche mitgeteilt, gleichzeitig mit den Gründen, „warum dies nicht bereits früher geschehen“8. Kaiser Wilhelm zeigte sich von diesen Erklärungen vollkommen beruhigt1 * 3 4. Wie an Graf Károlyi wurden gleichlautende Instruktionen auch an die anderen Vertreter des Wiener Ministeriums des Äußern bei den Großmächten gesandt. Nur dem Londoner Kabinett gegenüber trat eine bemerkens­werte Nuance ein, die charakteristisch ist für das Verhältnis An- drássys gegenüber England. Er legte es dem Botschafter Graf Beust nahe, ob es nicht zweckmäßig wäre, in London darauf zu verweisen, daß in Reichstadt im wesentlichen die Gesichtspunkte maßgebend gewesen, wie sie sich aus dem Ideenaustausch zwischen Österreich- Ungarn und England ergeben hatten*. Lord Derby, der englische Staatssekretär für Äußeres, gab auch der Stimmung in Europa Aus­druck, als er meinte: „Jetzt erst kann ich erklären, daß kein all­gemeiner Krieg zu befürchten ist.“ Alles schien von dem Resultat der Entrevue befriedigt zu sein. Andrássy selbst war nur mit schwerem Herzen nach Reichstadt gegangen, voll Besorgnis, den Anforderungen ausgesetzt zu sein, denen er nicht genügen könnte5. Es war ihm jedoch gelungen, sich in geschickter Weise aus der für ihn sicher nicht leichten Stellung herauszuziehen. Er vermochte nach Wien zurückzukehren, ohne daß es zu einem Zerwürfnis mit Rußland gekommen wäre. 1 Baron Hübner an Andrássy, Stuttgart, 3. Oktober 1876. Hübner weilte damals in Baden-Baden, wo sich Kaiser Wühelm befand. Sein Telegramm sandte er auf dem Wege der Stuttgarter Gesandtschaft nach Wien. W. St. A. * Andrássy an den Gesandten in Stuttgart Pfusterschmidt für Baron Hübner, 4. Oktober 1876. W. St. A. 3 Hübner an Andrássy, Baden-Baden, 6. Oktober 1876. Ibidem. 4 Andrássy an Beust in London, 9. Juli 1876, Ibidem. 3 Langenau, Mein Wirken etc. Ibidem.

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