Historische Blaetter 2. (1921)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

reich zurückkehren zu können, hatte Gortschakow keine andere Ant­wort als: „Mein Lieber“ —* hier machte er eine Pause, indem er gleichzeitig beide Arme in die Höhe hob —grüßen Sie in Wien alle meine Freunde, wenn ich welche noch dort habe“1. Auch die Zusammenkunft Franz Josefs mit Alexander in Warschau, Oktober 1860, tilgte nicht, wenn sich auch* das Verhältnis äußerlich etwas freund­licher gestaltete, den Haß des Zaren und Gortschakows gegen Öster­reich. Kein besseres Resultat vermochte Graf Beust zu erzielen, der * 1867 zur Leitung der äußeren Politik der Monarchie berufen worden war. Er ließ wohl in Petersburg versichern, daß nichts dem Wiener Kabinette ferner gelegen, „als! Rußland zu demütigen oder die ihm gebührende Weltstellung erschüttern zu wollen“*. Dem ehemaligen sächsischen Staatsmann war es aber überhaupt gar nicht ernstlich dar­um zu tun, sich mit Rußland auf einen aufrichtigen Friedensfuß zu setzen. Für ihn bedeutete, was man in Petersburg sehr wohl wußte, die etwaige Freundschaft mit dem russischen Reiche nur einen Stein auf dem Schachbrett seiner gegen Preußen gerichteten Revanchepolitik’3. Auch sonst war er nicht der Mann, um freundlichere Beziehungen mit dem russischen) Staatskanzler anbahnen zu können. Er und Gortschakow waren zu ähnliche Charaktere, um sich leicht zu verständigen — ihre Begegnung in Ouchy führte daher auch zu keinem Resultat. Beide Staatsmänner waren zu eitel oder zu sehr eingenommen von ihrem eigenen Verstand und wollten nicht der Ver­suchung entsagen, sich in besonders schön geschriebenen Noten gegenseitig zu bekriegen. Auf diese Weise verschlimmerte sich die Lage nur immermehr. In Petersburg war man überzeugt, eine Besserung zwischen dem russischen und österreichischen Hofe sei so lange aus­geschlossen, als Beust sich am Ruder befände*. Gortschakow be- zeichnete dessen Politik einfach als Chaos. Eine Änderung trat erst „ ein, als, November 1871, Graf Julius Andrássy, der bisherige ungarische Ministerpräsident, zum Nachfolger Beusts ernannt wurde. „Dem Grafen Andrássy“ — heißt es in dem Memoir des Petersburger Bot­schafters, Freiherrn von Langenam — „war es Vorbehalten, in dieser peinlichen Situation eine entschiedene Wendung zum Bessern her­1 Bericht des Dr. Drovun an Rechberg über sein Gespräch mit. Gortschakow, Juni 1860. Graf Rechberg übersandte dem Kaiser diesen Bericht über die Äußerungen Gortschakows mit der Bemerkung: „Letztere bieten besonderes Interesse.“ W. St. A, 1 Eduard von Wertheimer, Graf Julius Andrássy, II. Band, 27. a Siehe meine Aufsätze in der Deutschen Rundschau Oktober 1920 bis Jännei 1921: Zur Vorgeschichte des Krieges von 1870. 4 Freiherr von Lansenau. Mein Wirken usw.. W. St. A.

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