Historische Blaetter 2. (1921)

Eduard v. Wertheimer: Neues zur Orientpolitik des Grafen Andrássy (1876-1877)

Handschreiben richtete, meinte der Zar: Franz Josef rede darin gerade so, als ob seit fünf Jahren zwischen Rußland und Österreich nichts vorgefallen wäre1. Mehrere Annäherungsversuche, wie die Zusammen­kunft zwischen dem Zaren und Franz Josef am 1. Oktober 1857 in Weimar2, erzielten kein positives Ergebnis. Die Kluft, die die Höfe von Petersburg und Wien trennte, blieb auch weiterhin offen. Die Ka­binette von Paris und Berlin, die diesen Zwiespalt gern sahen, hüteten sich sorgfältigst, irgendeinen Schritt zur Versöhnung zu unternehmen. In Wien aber mußte man sich — nach dem Ausdruck eines österreichi­schen Diplomaten — sagen, „daß wir nichts Besseres erwarten konnten“3. Der Minister des Äußern Graf Rechberg bemühte sich Oktober 1859, diesem von gegenseitiger Gehässigkeit erfüllten Zustand ein Ende zu bereiten. Erzherzog Albrecht und der Unterstaatssekretär im Ministerium des Äußern, Baron Werner, fuhren Oktober 1859 nach Warschau, um dort mit Alexander II. und Gortschakow zusammenzu­treffen. Werner hatte im Aufträge des Ministers folgenden Vorschlag zu Imachen: Man habe sich seit dem Krimkriege lange genug gegenseitig befehdet. Österreich sei die Ursache, daß Rußland Bessarabien verlor, wogegen Rußland sein möglichstes tat, damit Österreich um die Lom­bardei komme. Es wäre endlich an derZeit, zu einer gemeinsamen Ver­ständigung zu gelangen4. An der Unerfüllbarkeit der gegenseitigen For­derungen scheiterte der Plan Graf Rechbergs5. Die Milderung der Gegen­sätze hatte keine Fortschritte gemacht. Zu einem Wiener, der intimere Beziehungen zur russischen Gesandtschaft unterhielt und seinen Auf­enthalt in Petersburg im Mai 1860 zu einer Vermittlung zu benützen gedachte, äußerte der russische Staatskanzler unwillig: „Man hat mich in Wien (wo er 1854 Gesandter gewesen) nicht angehört, man hat mir nicht glauben wollen, der Kaiser war jung und man hat ihm schlecht geraten.“ Und als hierauf die betreffende Person entgegnete, die Notwendigkeit der Annäherung zwischen Rußland und Öster­reich sei unvermeidlich, überhörte er absichtlich diese Worte. Für die Bitte dieses Mannes, als Bote der Versöhnlichkeit nach Öster­1 Raschdau a. a. 0., 48. 2 Stern, Geschichte Europas, 8. Band, 198. 3 Freiherr von Langenau, Mein Wirken als Gesandter in Petersburg Unge- druckt. Langenau weilte in Petersburg vom 18. September 1871 bis zum 12. Jänner 1880. Sein Memoir über seine Wirksamkeit als Gesandter befindet sich im Wiener Staatsarchiv. (Ich bezeichne von nun an mit W. St. A. dieses Archiv.) 4 Freiherr von Langenau, Mein Wirken usw. W. St. A. 5 Telegramm des Baron Werner an Rechberg, Warschau, 19. Oktober 1859 und Graf Rechberg an den Chargé d’affaires in Petersburg, Graf ,Széchenyi l’ No­vember 1859. Geheim. W. St. A.

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