Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

und popularisiert“1. Gewiß steht diese Stimmungsschicht im Gegen­satz zu einer andern, die uns mehrmals in der Romantik begegnet. Allein sie setzt doch, unter vermehrten neuen Eindrücken, nur eine Richtung fort, die ursprünglich schon innerhalb der Romantik vor­handen war: die Romantik hat ja zuerst die Persönlichkeit als Indi­vidualität verständigen2. Dagegen erhebt sich die neue Wertung des Individuums in unbedingtem und vollständigem Gegensatz gegen den Positivismus und den Marxismus: deren Kollektivismus bildet den jenseitigen Pol zu ihr. Aber auch hier haben sich Positivismus1 und Marxismus in jüngster Zeit selbst widerlegen müssen. Tröltsch meinte, uns mit der Empfehlung der marxistischen Ge­schichtschreibung das Allermodernste und einen zuverlässigen Wechsel auf die Zukunft zu bieten. Wie aber diejenige marxistische Geschichtschreibung, welche er schildert, nirgends vorhanden ist, so stellt diejenige marxistische Geschichtschreibung, welche wirk­lich vorhanden ist, einen wissenschaftlich — soweit hier die Wissen­schaft ein endgültiges Urteil sprechen darf — überwundenen Stand­punkt dar. 1 Rothacker, S. 185. Daselbst weiteres über das Eindringen dieser Anschauung in die Theologie, Philologie, Nationalökonomie usw. S. Kühler, Preußische Jahr­bücher Bd. 185, S. 33. 2 Siehe meine „Geschichtsschreibung“, S. 11. Über das Verhältnis von Genie und Volksgeist und die Lehre vom Genie siehe auch Freyer, S. 152: „Hier leben Gedanken der Romantiker unmittelbar fort.“ Über die Frage, inwieweit hiebei eine Wiederaufnahme von Gedanken des 18. Jahrhunderts in Betracht kommen könnte, siehe die obigen Bemerkungen zu R. v. Ihering. Über den Zusammenhang Carlyles mit der Romantik siehe Freyer, S. 154. — Ich weise hier noch auf einige während des Druckes der vorliegenden Abhandlung erschienene Arbeiten hin. E. Kaufmann, aus dessen Schrift ich oben, S. 209, Anm. 4 noch eine Äußerung einschieben konnte, stimmt meiner schon früher ausgesprochenen Anschauung bei, daß sich „eine Fülle von soziologischen 6rkenntnissen“ bereits in unserer ältern geschichtlichen Literatur findet (S. 95 f.). Im übrigen werde ich zu seinen Dar­legungen über diesen Punkt und den Marxismus an anderer Stelle zurückkommen. H. Oncken, Aus Rankes Frühezeit (Gotha 1922), S. 14, spricht sich in der gleichen Weise wie ich oben über das Verhältnis von Ranke zu Hegel aus, indem er, offen­bar in beabsichtigter Wendung gegen Tröltsch, die „Vermischung der entscheiden­den Grenzlinien, die zwischen ihnen beiden besteht und von Ranke als eine Kluft empfunden wurde“, tadelt. G. Seeliger veröffentlicht in seiner „Histr. Vierteljschr.“, Bd. 20, S. 363 ff. einen Art. unter dem Titel „Geschichtswissenschaft und Nation“, in dem er über dies Thema nichts sagt, sondern nur W. Götz’ oben Heft 1, S. 8, Anm. 2. abgelehnten Versuch gegen die in meiner „Parteiamtl. neuen Geschichts­auffassung“ geübte Kritik mit leeren Redensarten zu verteidigen sich bemüht. Er geht auf Götz’ widerspruchsvolle Auffassung und arge historische Verstöße gar nicht ein, hat offenbar auch selbst keine Vorstellung von den betreffenden Pro­blemen. Zur Widerlegung von Seeligers Bemühung vgl. Westphal, Histor. Ztschr., Bd. 124, S. 519. Meine Auffassung von der Bedeutung der Romantik für die Geistes­geschichte vertritt neuerdings 0. Spann, der wahre Staat (Lpz. 1921). H. Delbrück hat jetzt in seiner kleinen Schrift über die marxistische Geschichtsauffassung (Berlin 1921) seinen Gegensatz gegen Marx so scharf formuliert, daß es Tröltsch (s. oben S. 205, Anm. 4) vollends schwer werden wird, ihn zum Marxisten zu «tmrmpln 217

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