Historische Blaetter 2. (1921)
G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft
Zielen einzelner handelnder Personen. Demgegenüber betonte die Romantik die Abhängigkeit von allgemeinen Mächten wie dem Volksganzen, der Gruppe, in der jemand steht, von der Vergangenheit und der Gegenwart, ohne aber jene allgemeinmenschlichen Motive aufzugeben. Positivismus und Marxismus verkehrten die Abhängigkeiten ins Naturalistische. Aus dem Kampf gegen sie ziehen wir bereichert heim, unseres wertvollen, vermehrten und gesicherteren Besitzes stolzer bewußt. Wir erinnern aber daran, daß wir nicht erst heute den Sieg erfochten haben. Trotz mancher Ängstlichen, auch mancher Überläufer in unsern Reihen haben wir nie eine Niederlage erlitten. Aber eine Verstärkung unserer Stellung hat uns die letzte Zeit dadurch gebracht, daß die letzten, gerade auch die jüngsten Beobachtungen auf dem Gebiet der politisch-sozialen Entwicklung die Unhaltbarkeit der gegnerischen Stellung und die Zuverlässigkeit der unse- rigen in vermehrtem Maß erwiesen haben. Mit dem Dank an unsere Gegner aus älteren und jüngeren Jahren wollen wir nicht zurückhalten : wie dem Zwang zur allgemeinem Befestigung unserer Stellung, so danken wir ihnen in erheblichem Maß namentlich auch den Zwang zu schärferer und feinerer Analyse; nicht freilich so, daß sie uns ein Muster oder Vorbild dafür gegeben hätten: auch hier haben sie nur mittelbar gewirkt. Der tragfähige Aufbau der geschichtlichen Anschauung kann jedoch nur mit schärfster Ablehnung des Marxismus erfolgen, was wir zum Schluß noch mit zwei entscheidenden Beobachtungen erläutern. Eben die jüngsten Erlebnisse haben unsere Auffassung, die dem Staat und der staatlich geeinten Nation im geschichtlichen Leben die beherrschende Stellung einräumt, glänzend bestätigt, indem der Marxismus die Verkehrtheit seiner Theorie vom Überflüssigwerden des Staates an sich selbst erfahren und durch sich selbst bewiesen hat1. Scheinbar im Gegensatz zu romantischen Stimmungen tritt seil längerer Zeit die Bewertung des tätigen Individuums, das Ideal des Handelns und der aktiven Teilnahme am öffentlichen Leben, die Verehrung des Helden, eine Geschichtsphilosophie des Helden hervor2. „Der Eindruck der Persönlichkeit Bismarcks hat dann den Sieg dieses Gedankens vollends entschieden und die Richtigkeit seines ursprünglich normativ gemeinten Sinnes empirisch bestätigt 1 Vgl. Kelsen, Sozialismus und Staat, Archiv für die Geschichte des Sozialismus, Bd. 9 (1920) S. 1 ff., und namentlich F. Lenz, Staat und Marxismus (passim). Zu Kelsen, S. 49, vgl. meine „Geschichtsschreibung“, S. 169. 2 Vgl. Rothacker, S. 184 ff. Gegen eine verbreitete falsche Deutung von Carlyles Heldenverehrung, siehe meine „Soziologie als Lehrfach“, S. 24, Anm. 1.