Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

erschallenden Rufe nach „Synthese“ — wenn, und so weit sie einen Sinn haben1 — münden in der Forderung, wieder eine Zusammen­hängende, gleichmäßige, von innerer Harmonie erfüllte Anschauung und Darstellung von den Dingen, sei es derjenigen der Vergangenheit oder derjenigen der Gegenwart, zu erhalten. Also nichts einseitig Wirtschaftliches, nichts einseitig Ästhetisches, sondern alles an seinem Platz, nach seiner Gebühr; überall wieder das alte suum cuique2. Vergegenwärtigen wir uns nochmals die Entwicklung der historischen Betrachtung. Die Geschichtschreibung früherer Jahr­hunderte ließ die menschlichen Dinge durch göttliche Führung und menschlichen Widerspruch, durch Liebe und Haß, durch Mildtätigkeit und Bereicherungssucht, durch Unterordnung und Herrschsucht leiten. Manche Historiker haben von dieser Grundlage aus, durch ein­gehendere Beobachtung und mit erwachendem kritischen Sinn, scharfem Blick, viel echtes geschichtliches Verständnis bewährt. Die Aufklärung bevorzugte dann die Erklärung aus bewußten einzelnen Streben der kritischen Prüfung der materialistischen Auffassung unternommen sind und deren Irrigkeit ergeben haben. Darin aber stimme ich mit S. überein, daß das Ziel sein muß „die Wirtschaftsgeschichte wieder im Geistig-Menschlichen zu verankern“ (S. 499). Wenn S. hier weiter bemerkt (S. 498): „Diejenigen Wirt­schaftshistoriker, die von der Geschichte her kamen, sind der Gefahr (der Entgeistigung der Wirtschaftsgeschichte, der mehr oder weniger materia­listischen Auffassung infolge der Beschränkung der Studien auf das Ökono­mische) um deswillen weniger ausgesetzt, weil ihnen durch Below die Bedeutung des politischen Faktors eingehämmert war und so zumindest dies eine außerwirt­schaftliche Moment in ihren Betrachtungen immer wiederkehrt“, so darf ich wohl bemerken, daß ich auch noch anderen außerwirtschaftlichen Momenten starke Be­deutung zuerkenne (vgl. z. B. meine „Ursachen der Keformation“, S. 68 ff.; meine „Probleme“, S. 431). Bei den „Ökonomen“ findet S. (S. 496 und 498) eine größere Gefahr der Verengerung des Gesichtskreises in der Darstellung der Wirtschafts­geschichte. Mit Recht nennt er Gotheins Buch „Die Stadt Köln im ersten Jahrhundert unter preußischer Herrschaft“ (1916 erschienen) ein Muster wissenschaftlicher Ge­samtdarstellung (S. 496). Ich hatte in meiner Anzeige dieses Buches in den Jahr­büchern für Nationalökonomie früher schon hervorgehoben, daß es in vorbildlicher Weise die ökonomische Entwicklung im Zusammenhang mit der politischen, der allgemeinen vorführt. — Auch Tröltsch will zweifellos eine Einheit der Dar­stellung, eine „entwickelnde dynamische Verknüpfung“. Er übersieht aber, daß gerade der Marjismus mit seiner These, daß das ökonomische überall das Primäre sei, mit seinem Kollektivismus, der die Bewertung des tätigen Individuums aus­schließt, mit seiner Lehre vom Überflüssigwerden des Staates die Errichtung jenes Ideals ausschließt. 1 S. m. „Soziologie als Lehrfach“, S. 34 ff. 2 Über die Mittel, eine Einheit der historischen Darstellung zu gewimien, siehe meine „Geschichtsschreibung“, S. 107 bis 123. Tröltsch bietet auch hier nichts Greifbares, weil er sich zu sehr in Allgemeinheiten ergeht und seine un­durchführbare Konstruktion einer marxistischen Geschichtsschreibung besonderer Art ihn vom Wesen der Dinge ablenkt. Über die Berücksichtigung der „Totalität der Kultur in der Geschichtschreibung“ siehe auch meine „Parteiamtliche neue Geschichtsauffassung“, S. 71. ;io

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