Historische Blaetter 2. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

das ökonomische in ihren Dienst. Wenn dieses oft auch primäres Motiv ist, so geht die Meinung, daß es durchweg das Primäre, die Grundlage des Historischen Geschehens sei, doch ganz und gar in die Irre. Häufiger als Zweck ist es Mittel und erhält vor allem durch die all­gemeine Art des Menschen, durch seine Irrationalität, seine nationale Art, seine religiösen Vorstellungen usw. seine besondere Gestaltung. Ein Geograph1 reist mit Indianern in Mittelamerika; beim Ausgehen der Lebensmittel drängt er zur Eile; die Indianer aber machen Halt, lassen sich nieder und flicken ihre Kleider, weil sie nicht wünschen, daß sie, falls sie Hungers sterben sollten, mit zerrissenen Kleidern . in der Unterwelt erscheinen. Der litauische Bauer macht sich, wenn er sich zur Ruhe setzt, bei seinem Erben aus, daß er ihm stets Wagen und Pferd zur Verfügung stellt, um am Markttag in die Stadt zu fahren; er hat, als Altsitzer, nur wenig oder mitunter auch gar nichts, was er in der Stadt verkaufen könnte; aber sein Geltungsstreben verlangt, daß er nicht zu Fuß, sondern mit Wagen und Pferd in der Stadt erscheint2. Dies Streben ist so unwirtschaftlich wie möglich; allein das Irrationale trägt eben den Sieg über das Ökonomische davon; dieses hat sich jenem einzugliedern. Indem wir aber dies Verhältnis an der Hand der vorgebrachten Beispiele ■ erläutern, bringen wir ja nur das alte Verfahren der Romantik, der historischen Schule der Nationalökonomie zur An­wendung und Anschauung, die Wirtschaft eines Volks als Teil der gesamten Volkskultur zu deuten. Das Entscheidende ist doch, daß heute wieder eine harmonische Einheit der Darstellung gefordert wird3. Auch die heute so laut liehe Zwecke auf. Entscheidend ist ihm nicht die einfache Verdrängung der alten Vermögensbesitzer durch neue, sondern die Verdrängung der Aristokratie mit ihrer besonderen Eigenart durch „das glückselige Philistertum“ (2. Aufl. 1897, S. 13). ' Mein Freund Sapper hat mir dieses sein Erlebnis berichtet. 2 Ein verwandtes Beispiel führt Häpke, Schmollers Jahrbuch 1921, S. 517, Anm. 1 an. 3 Als Beispiele dafür können die soeben erschienenen Arbeiten von Roffenstein, a. a. 0., E. Salin, Zu Methode und Aufgabe der Wirtschaftsgeschichte, Schmollers Jahrbuch 1921, S. 483 ff., F. Lenz, Staat und Marxismus, S. XIX und 169, der die Rückkehr zur universalen Auffassung Rankes im Gegensatz zu der einseitigen, den Machtstaatsgedanken ignorierenden marxistischen Auffassung fordert, dienen. Aber auch die gesamte Wiederanerkennung Hegels wie die der Romantik tritt in jenem Sinne auf. Salin a. a. 0., S. 498, nennt die neuere „spezialistische Wirtschaftsgeschichte in geringerem oder größerem Maß materialistisch — am handgreiflichsten dort, wo sie marxistisch auch alles Geistige nur als Überbau ökonomischer Vorgänge und Zustände aufgefaßt wissen wollte, weniger auffällig, aber vielleicht gefährlicher dort, wo sie aus der Notwendigkeit des Spezialistentums heraus ihren Stoff als Selbstwert, setzte und nicht nur seine Form, sondern auch seine Entwicklung aus sich heraus erklärte, ohne die Folgen und die Voraussetzungen stets zu über­denken.“ Hiergegen möchte ich geltend machen, daß die Spezialstudien an sich keineswegs materialistisch zu sein brauchen und oft genug mit dem bewußten

Next

/
Thumbnails
Contents