Historische Blaetter 2. (1921)
G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft
schaftlichen Ursachen erworben haben, anzuerkennen, aber auch zu begrenzen sein. Doch Marx ist ja nicht der einzige Sozialist, der das Verdienst beanspruchen darf, durch Irrtum der Wahrheit gedient zu haben. Von den Sozialisten und Kommunisten, die vor ihm aufgetreten sind, läßt sich natürlich Verwandtes sagen. Und nicht bloß die Theoretiker des Sozialismus haben den Historikern und Nationalökonomen Anlaß und Antrieb geboten, ihre Anschauungen zu erweitern und auszubauen, sondern nicht weniger die wirtschaftlichen und sozialen Zustände und Bewegungen. Ihre unmittelbare Wirkung ist durch die Jahrzehnte hin in der historischen Literatur deutlich wahrzunehmen. Und da mit der großen französischen Revolution von 1789 die soziale Frage im engeren Sinne der Hauptsache nach aufgeworfen wurde, so begreift es sich, daß in der weiten Bewegung der Romantik, die eine umfassende Auseinandersetzung mit jener Revolution bedeutet, die durch das soziale Problem aufgeworfenen Fragen im wesentlichen schon hervortreten. Es findet sich in ihr die Verteidigung der bestehenden Einrichtungen ebenso wie eine Kritik der modernen Zustände, gegen die sich die soziale Bewegung erhebt. Die unerfreulichen Wirkungen, die die Steigerung der Geldwirtschaft für das soziale Leben hervorgebracht hat, sind von den Romantikern erkannt und temperamentvoll geschildert worden. Marx stand hier wieder in ihrem Gefolge1. Man würde aber die rom an-' tische Geschichtsliteratur unterschätzen, wenn man den Kreis ihrer Beobachtungen lediglich auf Wirkungen und Gegenwirkungen der französischen Revolution zurückführen wollte. Um nur das Beispiel Niebuhrs herauszugreifen, so liefern ihm für seine Urteile über soziale Dynamik die Unterlage neben der französischen Revolution die von ihm in der Geschichte beobachteten Revolutionen, von den altrömischen bis zu den mittelalterlichen städtischen Kämpfen, den niederländischen Freiheitskämpfen, der englischen Revolution, aus der englischen Geschichte das Verhältnis Englands zu Wales, zu Schottland, zu Nordamerika, die Zurücksetzung der Katholiken1 2. Verdienste sind unbedingt der nicht gerade historischen, sondern mehr theoretischen (großenteils sozialistischen) Literatur3 zuzusprechen, welche sich bemüht, zu ermitteln, was der Sinn der marxisti1 Vgl. meine „Geschichtschreibung“, S. 156 ff. s Vgl. M. Ritter, a. a. 0., S. 319 fl. 3 Vgl. über sie E. Brandenburg a. a. 0. Gaston Roffenstein, das soziologische Problem der Gleichheit, Schmollers Jahrbuch 1921, S. 67 fl.