Historische Blaetter 2. (1921)
G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft
Natürlich liegt es uns völlig fern, Marx in der Weise beiseite, zu schieben, wie Tröltsch es mit der historischen Fachliteratur macht. Was er in der Zergliederung historischer Erscheinungen geleistet hat, namentlich in der Erfassung von Kapital und Kapitalismus, soll ihm als Verdienst anerkannt bleiben. Zur genaueren Bemessung seiner Verdienste wird es freilich noch notwendig sein, ganz sachlich zu ermitteln, was bis zu ihm in bezug auf Großbetrieb, Kapital, Kapitalismus in der gesamten historischen und nationalökonomischen Literatur vorgetragen worden ist. Unbestreitbar bleibt weiter Marx das Verdienst, ein großer Anreger gewesen zu sein. Wenn er irrte, so wollen wir doch die Funktionen, die dem Irrtum und der Torheit in der Entwicklung der Menschheit zukommen, keineswegs bestreiten. Gewiß geht der Weg zur Wahrheit oft durch Irrtum, und zum mindesten an idem notwendigen Widerspruch, den der Irrtum hervorruft, entzündet sich der Eifer für verstärkte Verkündigung der Wahrheit und steigert sich auch die Erkenntnis der Wahrheit. Wie wir Historiker in dieser Linie Lamprecht ein erhebliches Verdienst zusprechen, so versagen wir es ebenso Marx nicht. Das abschreckende Beispiel besitzt unersetzlichen Wert. Indessen bleibt die Zuerkennung solcher Verdienste stets von der Feststellung des Maßes abhängig, in dem schon vorher die entsprechenden Gesichtspunkte vertreten worden waren und in dem der Vertreter des Irrtums durch zu viel Häufung des Irrtums die gesunde Entwicklung der Forschung verzögert, wohl gar zurückgeworfen hat. Ferner kann es doch wohl nicht Pflicht der Wissenschaft sein, nur den Irrtum undi dessen Vertreter zu rühmen. Es ist eine krankhafte Erscheinung, mehr die Träger des Irrtums, als die der Wahrheit zu loben. Wir werden doch denjenigen die Anerkennung nicht vorenthalten dürfen, die mit Recht dem Irrtum widersprachen, die stets schon das Richtige gesagt haben und die nicht etwa nur deshalb bei dem Richtigen geblieben sind, weil ihnen das Falsche nicht bekannt war, die vielmehr im Kampfe gegen das Falsche das Richtige vertreten haben. Auch an der Frage werden wir, zumal als Historiker, nicht Vorbeigehen dürfen, ob der Irrtum aus reinem Eifer für die Erkenntnis oder aus bequemem Hang1 zum Alten, 'aus Vernachlässigung der Pflicht der Arbeit, aus sportmäßiger Übertreibung, aus Eitelkeit, aus blindem Haß, aus bösartiger Entstellung stammt. Nach den hier aufgestellten Regeln wird das Verdienst, das sich Marx und die Marxisten durch die einseitige Betonung der wirt211