Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

über die Neuregelung auf dem Balkan, war es Sasonow selbst, der dem serbischen Gesandten in Petersburg diesen Rat mit dem Bemerken er­teilte, daß er glaube, Serbien werde Österreich-Ungarn erschüttern; Ser­bien gehöre die Zukunft, Am 9. April 1913 versicherte dem serbischen Gesandten in Paris eine „kompetente Persönlichkeit“, man sei unmittel­bar vor der Gefahr eines allgemein europäischen Krieges gestanden, habe ihn aber für jetzt unter anderem darum vermieden, weil man den Balkan­verbündeten Gelegenheit zur Erholung, Sammlung und Vorbereitung für Eventualitäten gewähren wollte, die in einer nicht fernen Zukunft ein- treten könnten. Und Kaiser Nikolaus persönlich äußerte sich Pasic gegenüber in Petersburg so hoffnungsvoll wie möglich für die „slawische Sache“ und sagte dem serbischen Kronprinzen, daß die Aspirationen Serbiens gegenüber Österreich-Ungarn nun bald in Erfüllung gehen würden. Von alledem hatte man in Wien wahrscheinlich nur unvoll­kommen Kenntnis, aber ungefähr wußte man selbstverständlich doch, wie die Sachen standen. Man wußte, daß die russischen Regierenden zum Panslawismus übergegangen waren und daß durch Verfügung des Zaren im September 1913 die Reservisten zurückgehalten wurden. (In den August-Schlachten stellte sich heraus und man hat seither auch ander­weitige Bestätigung dafür, daß sibirische Truppen schon im Frühjahr 1914 nach dem Westen Rußlands transportiert worden waren.) Man wußte, daß Rußland gewaltig rüstete, angespornt und mit Geld unter­stützt von Frankreich, das Mitte Februar 1914 dem Verbündeten ein Darlehen von 214 Milliarden gewährte, damit er seine strategischen Bahnen binnen vier Jahren (1918 wäre also ein äußerster Termin ge­wesen) ausbauen könne. Man wußte, daß Kaiser Nikolaus bei einem Besuch in Constanza von den rumänischen Chauvinisten mit Begeiste­rungskundgebungen überschüttet worden war und wie die Franzosen in Bukarest arbeiteten, um entgegen dem Willen des Königs, auf dessen langsam erlöschender Lebenskraft allein noch die Freundschaft mit den Mittelmächten beruhte, die Umzingelung Österreich-Ungarns im Südosten durch Gewinnung Rumäniens zu vollenden. Man wußte genug, um zu fürchten. Über Serbiens Lust, sich zum letzten Stoß zu bereiten, bestand kein Zweifel mehr, eine Auffassung, die bestätigt wird durch das während des AVeltkriegs erschie­nene Buch des ehemaligen serbischen Gesandten Bogicevic, der uns er­zählt, wie man dort dem Kriege zutrieb und ebenso bestätigt durch die Äußerung des Gesandten Jovanovic gegenüber Nicolson kurz nach dem Attentat, daß es der serbischen Regierung gar nicht einfalle, auf ihre Ideale zu verzichten. Auch wissen wir ja durch Paléologue, daß der

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