Historische Blaetter 2. (1921)
Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg
innerhalb seiner Grenzen zu vereinigen. Die mißglückten Türkenkriege von 1739 bis 1788, die ängstliche Gebundenheit, die zur Zeit der ersten serbischen Erhebung gegen die Türken die Anerbietungen der Aufständischen zurückweisen ließ, wirkten nach. Die Okkupation von Bosnien, gegen welche seinerzeit die Mehrzahl der gewählten deutschen Abgeordneten protestiert hatte, war keine Korrektur, sondern eine neue halbe Maßregel, deren nachträgliche Ergänzung zur Annexion zwar nötig wurde, aber — worüber sich Aehren- thal nicht täuschte, ein bedenkliches Unternehmen war. Aber nicht so sehr sie brachte die Dinge ins Rollen, als die türkische Revolution an sich, durch die sie veranlaßt war. Daß die Annexion Österreich-Ungarn und Rußland, trotz der Abrede in Buchlau, auseinander führte, war ein Werk der westmächtlichen Diplomatie; aber die Idee der Russen, Konstantinopel „im Rahmen eines Europäischen Krieges“ zu nehmen, entwickelte sich aus der Natur der Verhältnisse. Der Balkanbund war das Werkzeug, und als die Serben bei Kumanowo gesiegt hatten, als damit nicht den Bulgaren, sondern ihnen die Ehre zufiel, als erste den Halbmond niedergeworfen zu haben, war auch schon die beste Zeit für die Durchführung der Politik Franz Ferdinands, die übrigens schwere innere Krisen zufolge gehabt hätte, vorüber. Zwanzig Monate später war Franz Ferdinand ermordet. Die geistigen Urheber des Mordes hatten sicherlich genau gewußt, was sie taten. Sie beseitigten den Thronfolger, auf den die Kroaten ihre Hoffnungen setzten, und fügten Österreich eine Beleidigung zu, deren Nicht-Sühnung es als verächtlich schwach erscheinen lassen mußte, und deren Sühnung zu den äußersten Verwicklungen Anlaß gab. In dem Augenblick, als der trialistische Erzherzog verschwunden war und mit ihm die Aussicht auf eine Lösung der südslawischen Frage von Wien aus, mußte hier allerdings das Gefühl zunehmen, daß zwischen Wien und Belgrad eine gründliche Austragung unvermeidlich sei, daß das Wagnis einer Abrechnung- geringer sei, als das eines längeren Hinnehinens und Zuwartens. An diesem Punkte drängt sich die Frage auf, die zu der vorhin gestellten, ob sich nicht Deutschland von Österreich-Ungarn hätte lossagen sollen, das Gegenstück bildet: die Frage, ob nicht der habsburgische Kaiser mehr im Interesse seines Hauses gehandelt hätte, wenn er, ehe sich die Situation durch einen einzelnen Fall so tragisch zuspitzen konnte, sogar noch vor der Annexion, etwa gelegentlich des Besuches König Eduards in Ischl, sich von Deutschland sachte losgelöst hätte. Nun, wenn Kaiser Franz Josef die Frage überhaupt erwogen hat, So wird er sich gesagt haben, daß für Frankreich die Beziehungen zu Rußland