Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

Entgegenkommen geneigt waren, für sich zu gewinnen. Eine freiere Re­gierungsweise hätte in England die Vorstellung beseitigt, daß man es in Berlin mit einer anspruchsvollen Militärherrschaft zu tun habe. Der Schein des Absolutismus, den Kaiser Wilhelm in Privatbriefen und in der Öffentlichkeit aufrechthielt, erschwerte die Sachlage, die ohnedies da­durch belastet war, daß die äußere Politik Deutschlands von wirtschaft­lichen Aktionen mehr als nötig ins Schlepptau genommen wurde. Alles vermeintlich sehr realistisch, aber ohne Einschätzung der Gesamtsitu­ation und der unduldsamen und hypochondrischen Züge im Charakter der englischen Politik. So machte man im Jahre 1911 in England klar zum Gefecht, weil man, als der kleine „Panther“ in Agadir einlief, fürch­tete, daß Deutschland sich von Frankreich im Laufe des Marokkostreites einen Stützpunkt an der atlantischen Küste einräumen lassen könnte. Das nächste Jahr, 1912^.wurde, wie für die österreichisch-russischen Be­ziehungen, so für die deutsch-englischen das Schicksalsjahr. Der Minister Haldane kam nach Deutschland, um eine Verständigung herbeizuführen, die England die Sicherheit gewähren sollte, daß Deutschland seine Flotte nicht über ein bestimmtes Maß hinaus vergrößere; dafür wollte er zwar nicht das in Aussicht gestellte Neutralitätsversprechen für den Fall kriegerischer Verwicklungen geben, wohl aber die Zusage, daß England sich einer aggressiven Politik gegenüber Deutschland enthalten werde. Dies schien ungenügend und zweideutig und eine Vereinbarung kam nicht zustande. Deutschland mäßigte allerdings das Tempo der Flotten­bauten, die Tirpitz auf eine Höhe hatte bringen wollen, die England von Angriffsgedanken abschrecken sollte, aber England hielt sich jetzt nun ganz an die andere Seite. Als Sasonow im September 1912, einen Monat vor dem Ausbruch des von ihm angestifteten Balkankrieges, einen Be­such in Balmoral abstattete, hörte er, (wie sein von der „Prawda“ enthülter Bericht mitteilt), entrüstete Äußerungen des Königs gegen Deutschland, das eine der englischen ebenbürtige Flotte haben wolle und dessen Handelsschiffen man bei einem Zusammenstoß übel mitspielen werde und hörte Erklärungen Greys über seine Konventionen mit Frankreich und über Englands Bereitschaft, zu kämpfen. Vielleicht hörte er mehr als gesagt wurde. Aber am 22. und 23. November 1912, nach den großen Siegen Serbiens und Bulgariens über die Türkei, die einen österreichisch-russischen Konflikt möglich erscheinen ließ, wurden die bekannten brief­lichen Abmachungen zwischen Grey und Cambon ausgetauscht, deren Vorhandensein der russische Botschafter Benckendorff während der Londoner Konferenz zu ahnen bekam und die Iswolski im April 1913

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