Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

als seinem Chef schon bekannt voraussetzen durfte. Für Rußland eine Er­mutigung zum Handeln. Wenn Grey glaubte, noch lange Schiedsrichter über Krieg und Frieden zu sein, so irrte er sich. Als er im April 1914 in Paris war, billigte er, wie Iswolski berichtet, im Verkehr mit den franzö­sischen Staatsmännern ausdrücklich den Hinweis darauf, daß das Ziel der drei Mächte nicht nur Aufrechthaltung des Friedens, sondern auch des „Gleichgewichts“ sei. In Wirklichkeit hatte er das Gleichgewicht zu­gunsten der kriegerischen Revanche- und Panslawistenpolitiker zerstört. Eine schwere Belastung, freilich auch ein weitreichender Vorteil für die deutsche Nation war ihre Verbindung mit nichtdeutschen Völkern seit jeher. In Preußen umfaßte sie nur die Polen, die sich dem deutschen Staate einfügen mußten; in Österreich aber nicht weniger als neun Stämme mit verschiedener Geltung — angefangen mit den Magyaren, die politisch stärker waren als die Deutschen, bis zu den Rumänen und Slowaken, die von diesen selben Magyaren in nationaler Hinsicht nahe­zu ignoriert wurden, wie ja in der habsburgischen Monarchie überhaupt zwar eine Zeitlang konfessionelle Unterdrückung geherrscht hatte, na­tionale aber nur dort, wo Nichtdeutsche unter sich waren. Deutschland war nach dem Fall der Hohenstaufen zerbröckelt, und das neue Kaiser­geschlecht der Habsburger schuf sich damals eine Hausmacht, die, wäh­rend die Luxemburger die Krone trugen, immer mehr eine Sonder­stellung einnahm und sich dann mit Böhmen und Ungarn verflocht. Die geographische Lage zeichnete den Habsburgéra den Weg vor, und, indem sie ihn verfolgten, verblaßten die Aussichten auf die ohnedies stets schwieriger gewordene Herstellung eines deutschen Nationalreichs. Die österreichischen Deutschen wurden vorwiegend Österreicher und blieben mit dem Reich nur durch die Kaiserkrone verbun­den, deren altertümlicher Schimmer von den aufstrebenden Hohenzollern und Wittelsbachem mit Unbehagen betrachtet wurde. Als der deutsche Nationalgeist nach Jahrzehnten schweifen­der Sehnsucht erwacht war und im Jahre 1848 wieder einen Reichsbau aufrichten wollte, traf der Versuch nicht nur bei den Habs­burgéra, die anfangs zu paktieren geneigt waren, auf Widerstand sondern er stieß sich auch an der Stärke, zu welcher der österreichische Staatsgedanke bei den Deutschösterreichern selbst gediehen war; sie wollten Deutsche sein, aber die große österreichische Monarchie, diese nun schon historische Individualität mit Wien als Mittelpunkt, nicht auf­geben. Das war Gefühlssache, aber doch auch Verstandessache. Es war ja die Zeit, in der Friedrich List und Bruck, zwei Nichtösterreicher, die Bedeutung der unteren Donau, der Balkanländer und des Adriatischen 19

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