Historische Blaetter 2. (1921)
Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg
türlich war dabei auch der Widerstand gegen das sozialdemokratische Programm überhaupt sehr wirksam. Die Parteien standen einander aufs schroffste gegenüber, und hier zeigte sich der eigentliche Grundfehler, der die Deutschen in ihrem politischen Zusammenleben hemmt: der kurzsichtige Eigensinn und der Mangel an Elastizität. Nur durch die äußerste Not oder durch das Erscheinen eines großen Mannes werden vorübergehend ihre bösen Folgen überwunden. Der große Mann hat, nachdem Bismarcks Zeit vorüber war, bitter gefehlt. Kaiser Wilhelm hatte offenbar das Gefühl, daß die deutsche Geschichte an einem Punkt angelangt sei, wo wieder einmal etwas Neues am Platze wäre; nur wußte er freilich nicht genau, was es sei. Er versuchte — man erlaube den Ausdruck — er versuchte, genial zu sein. Er war nur ruhelos und sensationell. Er hatte einen wirklich großen Augenblick: den 4. August 1914, und einen guten Gedanken: daß Deutschland die See benützen müsse. Dieser Gedanke ist übertrieben worden wie alles in der wilhelminischen Zeit — wie das Lavieren in der äußeren Politik, zu dem die Umstände zwangen und das mit einer Wucht ausgeführt wurde, die den Sinn und Zweck des Lavierens in sein Gegenteil verkehrte. Man stieß nacheinander überall an, oft auch dort, wo man freundschaftliche Berührung suchte. Das Volldampf-Tempo im Wirtschaftsleben war ein Ergebnis von wirklicher Kraft und von Kraftgefühl. Hieher war die Vorwärtsentwicklung hauptsächlich verlegt und durch sie fühlte sich England in seiner Monopolstellung bedroht. Bismarck sagte einmal — es war im Jahre 1898 — er wisse leider nicht, wie man England freundlicher stimmen könne, da das einzige Mittel, nämlich der Industrie einen Zaum anzulegen, doch nicht gut anwendbar sei. Schon im Jahre 1864, als Preußen und Österreich das maritim wichtige Schleswig-Holstein für Deutschland zurück- gewannen, ging ein Grollen durch die englische Presse, und als Deutschland mit der Erwerbung von Namaqualand in Südwestafrika einen ersten kolonialpolitischen Schritt tat, opponierte Gladstone sehr entschieden. Als England unter den geänderten Verhältnissen mit der Isolierung nicht mehr das Auslangen fand, suchten Chamberlain und Lansdowne um die Jahrhundertwende ein Bündnis, das Deutschland aus allerlei teils begreiflichen, teils nichtigen Gründen und zum Teil, weil der Kaiser damals gegenteilige Ideen und Gefühle hatte, ablehnte. Da zeigte sich wieder die politische Rückständigkeit — sowohl darin, daß der Kaiser sich das entscheidende Wort beilegte, wie darin, daß die innere Entwicklung nicht in eine Richtung geführt hatte, in der eine Annäherung sich ergeben konnte. Deutschland hätte sein möglichstes tun müssen, um diejenigen englischen Parteien, die zum 5f