Historische Blaetter 2. (1921)
Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg
war entscheidend. Drüben war das Prinzip die Freiheit, hier die Gebundenheit. Ob die Summe der Ausnahmen in der Praxis größer oder kleiner war, fiel besonders für das Urteil des Auslandes wenig ins Gewicht, und nicht ganz mit Unrecht, denn es^frar kein gutes Zeichen für Deutschland, daß es den Schein duldete, ein herrisch regiertes und bevormundetes Land zu sein. Die Reichsverfassung von 1871 war eine meisterhafte Leistung, daß aber die Vorwärtsentwicklung auf innerpolitischem Gebiete schon am Beginn der achtziger Jahre zum Stillstand kam, war ein schweres Übel. Auch hat die Generation von 1880 bis 1914 nicht einen einzigen Parlamentarier hervorgebracht, der denen der vorangegangenen Epoche, die in diese Zeit noch herüberragten, ebenbürtig gewesen wäre. Diese Verarmung ist aber nicht etwa nur der unzulänglichen politischen Eignung der Deutschen für das politische Leben zuzuschreiben. Sie war auch eine Folge der äußeren Verhältnisse Deutschlands. In den ganzen fünfzig Jahren seiner Größe fühlte sich Deutschland beständig belagert, es mußte nahezu immer darauf gefaßt sein, daß irgendeine unerwartete Wendung den Revanchekrieg herbeiführen könne, an dem, wie man von 1890, von der Kronstädter Zusammenkunft an, kaum noch bezweifelte, Rußland teilnehmen würde. Daraus ergab sich eine notwendige Stärkung des Kaisergedankens und Staatsgedankens in militärischer Richtung. Äußere Gefahr hat seit jeher bei allen Völkern die Í Regierungsegewalt gekräftigt, oft bis zur freiwilligen Übertragung der Diktatur. In Deutschland hat die äußere Gefahr die politische, die freiheitliche Entwicklung gehemmt. Dies kann gar nicht deutlich genug hervorgehoben werden; es gehört zu den Unglückseligkeiten, mit denen Deutschland durch seine geschichtlichen und geographischen Daten belastet ist — es gehört- zu Deutschlands Schicksal. Die Wirkung zeigte sich bei den einen in wachsender Gleichgültigkeit für den Geist, in dem regiert wurde, bei den andern in entschiedenem Anschluß an die konservativen Parteien. Nicht nur die Großindustriellen wurden konservativ. Es gab viele Hunderttausende in den mittleren Bürgerkreisen, die sich herausgefordert fühlten durch das Gebaren der j Sozialdemokratie. Die Arbeitermassen waren von den Lehren des Sozialismus in der ererbten nationalen Unreife ergriffen worden, sie waren widerstandslos dem aggressiven Internationalismus ausgesetzt, der ihnen gepredigt wurde, und so wurde die Sozialdemokratie, und zwar nach Bebels und Vollmars Verschwinden immer mehr, eine Partei des Antinationalismus. Die Rückständigkeit in nationaler Hinsicht führte der dynastisch gesinnten Rückständigkeit Anhänger und Mitläufer zu. Na-