Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

Unglück sei. Der ehemalige Handelsminister Timirjasew, der dem Komitee für die Handelsverträge als Präsident Vorstand, sagte im März 1914 einem Mitarbeiter des „Az Est“, man könne es nicht mehr dulden, daß die russische Industrie, in der die sich massenhaft ver­mehrende Bevölkerung beschäftigt werden müsse, durch die deutsche erdrückt werde. Deutschland habe durch seine Gierigkeit die Sympathien der ganzen Welt verloren und werde, ausgenommen in Österreich- Ungarn, überall gehaßt. Aber auch Österreich-Ungarn werde eines Tages einsehen, welche Ungerechtigkeiten ihm von Deutschland auf­erlegt werden. Das war ein Appell an die Magyaren, denn damals hatten mehrere ungarische Oppositionspolitiker unter Führung Karolys einen Ausflug nach Petersburg unternommen. Daß auf den neoslawistischen Kongressen die Tschechen gegen die Deutschen hetzten, ist selbstver­ständlich. Die Polen, wenn sie dabei waren, natürlich desgleichen. Gewisse Hofkreise, di© es nicht verwinden konnten, daß Deutschland nicht mehr zu Füßen Rußlands lag, sondern selbst zu Macht gelangt war, und die politisierenden Großfürsten und Großfürstinnen brauchte man nicht erst zu hetzen. Die Kaiserin-Mutter und Nikolai Nikola jewitsch, der spätere Oberbefehlshaber, und seine montenegrinische Frau waren ge­radezu Apostel des Deutschenhasses. Es gibt Moden auch im Hassen, und auch in dieser Mode war, was von Paris kam, maßgebend, besonders wenn London mitzutun begann. Zwar die große Mehrheit des französischen Volkes, obwohl sie den | Verlust Elsaß-Lothringens als schmerzliche Verkleinerung des Vater­landes empfand, hielt entweder einen Waffengang nicht nötig, weil sie an die Möglichkeit friedlichen Zurückgewinnes glaubte, oder es galt ihr der Revanchekrieg als ein, in unbestimmter Ferne schwebendes Schicksal, als ein messianisches Ereignis, das man halb herbeiwünscht, halb hinausschieben möchte. Aber die kleine Gruppe der Chauvinisten schürte den Funken. Man kann nicht sagen, daß der Krieg in positivem Sinne aus der inneren Entwicklung Frankreichs hervorgegangen sei. Nur insofern hängt das Anwachsen des Revancheverlangens mit ihr zusammen, als sie an einem Punkte angelangt war, wo sie nicht weiter konnte. Der Kampf gegen die Kirche war zu Ende, und vom Sozialismus wollte man nichts wissen. Wenn nun die innere Politik nichts mehr zu tun gab, wendete sich das Interesse immer mehr der äußeren zu. Ein großes Kolonialreich fügte sich Stück für Stück aneinander, das den Ehrgeiz hätte befriedigen können. Aber die Chauvinisten waren an der Arbeit. In der marokkanischen Sache gewöhnte Delcassé, wie einst Marius die römischen Soldaten an den Anblielr der Cimhern und Teutonen

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