Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

erschienen. Während die Selbständigkeitsregungen der Ukrainer einen Grund bildeten, die österreichische Monarchie, in der sie eine Zuflucht fanden, zu bekämpfen, wurden die Polen, die sich als Bundesgenossen gegen sie anboten, geschätzt. Im Dezember 1913 brachte die Regierung in der Duma den Entwurf eines Gesetzes ein, das den Gebrauch der polnischen Sprache in den Sitzungen der Stadtverwaltungen Polens erlauben sollte. Die Duma nahm die Verlage an, der Reichsrat lehnte sie ab. Daraufhin antwortete der Ministerpräsident Kokowzew mit einer ganz panslawistischen Erklärung. Er sagte, eine Verwirklichung der Träumereien von einer Vereinigung aller slawischen Stämme mit dem russischen Stamme sei eher möglich auf dem von der Regierung und der Duma betretenen Wege als auf dem umgekehrten. Der Übergang der Regierenden zum Panslawismus zeigte sich auch in dem Eifer, mit dem die Umtriebe in Galizien und Nordost-Ungarn unterstützt wurden; man begann sogar, offener vorzugehen. In demselben Monat Dezember veröffentlichte die hochoffiziöse „Rossija“ ein Projekt zur Erleichterung der Ausbildung ausländischer Slawen an russischen Lehranstalten. Was dies hieß, war klar, und eben so klar war es, wozu die großen Spenden dienten, die für Kirchenbauten in Galizien gewährt wurden. Bittgottesdienste wurden veranstaltet für die Orthodoxen, die, wie man sich ausdrückte, in den Gefängnissen Österreich-Ungarns schmachteten. Der Krieg gegen die Mittelmächte gehört geradezu in die Geschichte der inneren Entwicklung Rußlands. Vernünftige Staatsmänner, wie Witte, haben die Gefahr erkannt, sind aber nicht gehört worden. Der ( Druck war unwiderstehlich. Dabei war, allem Anschein nach, das rassi­sche Volk in seiner Masse, wenn es auch an den Deutschen allerlei auszusetzen und zu bespötteln hatte, da sie ja zahlreich unter ihm lebten und mit ihren sehr unrassischen Eigenschaften zu Rang und Wohlstand gediehen, nicht eigentlich deutschfeindlich. Erst in den letzten Jahren hatte die Agitation der Nationalisten und panslawistischen Deutschen­hasser mehr Erfolg. Der russische Nationalismus richtete seine Spitze notwendig gegen die Deutschen. Am 2. Mai beantragte die Regierung in der Duma, daß Juden, Polen und Ausländer, und davon wurden vor allem die Deutschen betroffen, bei Gefängnisstrafe und Güterkonfis­kation die Erwerbung von Grundstücken außerhalb der West­gouvernements und des Ansiedlungsrayons verboten sein solle. Die antideutsche Agitation wurde von den industriellen Kreisen stark begünstigt. Die aufsteigende Industrie wollte sich von der deutschen ' Konkurrenz befreien, sie wehrte sich gegen ihre Übermacht, und es wurde zum Schlagwort, daß der Handelsvertrag mit Deutschland ein 31

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