Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

land eine günstige Lösung der Meerengenfrage für den Fall zu sichern, daß „die Ereignisse es zwingen sollten, seine Interessen am Bosporus und an den Dardanellen zu stützen“. Den Vorsitz führte der Minister des Äußern Sasonow, unter den Teilnehmern befanden sich der Marine­minister, der Chef des Generalstabs, der Botschafter in Konstantinopel usw. Bei Eröffnung der Sitzung erinnerte Sasonow die Anwesenden an das ihnen bekannte Memorandum, das er dem Zaren bereits im Novem­ber überreicht hatte und in dem gesagt war, es sei viel Wahrscheinlich­keit dafür, daß es Rußland bevorstehe, die Meerengenfrage während eines europäischen Krieges zu lösen, in dem die Flotten des Dreibundes von den Flotten Englands und Frankreichs in Schach gehalten würden. Der Minister sagte, daß im Zusammenhang mit der Veränderung der politischen Lage vielleicht schon in naher Zukunft die Möglichkeit von Ereignissen ins Auge gefaßt werden müsse, die die internationale Lage der Meerengen von Konstantinopel vom Grund aus verändern könnten, und obgleich er, wie er sich vorsichtig ausdrückte, im gegenwärtigen Moment erhebliche politische Verwicklungen für wenig wahrscheinlich halte, könne man trotzdem selbst in der nächsten Zukunft für die Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes im nahen Orient keine Gewähr übernehmen. Er setzte auseinander, daß es sich darum handle, falls durch die Kraft der Ereignisse die Meerengen der türkischen Herrschaft entzogen würden, zu verhindern, daß eine andere Macht sich dort festsetze, und dafür zu sorgen, daß Rußland die seinen Interessen entsprechende Ordnung der Dinge im Bosporus und in den Dardanellen in einer oder der anderen Form durchführe. Man müsse also, wenn es nötig sei, die für eine Landungsoperation bestimmten Truppenteile — es waren für diesen Zweck zwei Divisionen und eine Brigade vor­gesehen, die schnell mobilisiert werden konnten — sofort auf die Schiffe setzen und innerhalb vier bis fünf Tagen nach Erklärung der Mobilisierung nach dem Bosporus schaffen können. Daß der Fall gleich­zeitig mit einem Kampf an der Westgrenze eintreten werde, galt den Beratungsteilnehmem als selbstverständlich. Wir sehen hier, wie das Herannahen des Schlußstadiums der orientali­schen Frage ein Weltkriegsprogramm hervorruft und wie zweckgemäß die französischen Diplomaten chauvinistischen Bekenntnisses dachten, wenn sie die orientalische Frage als den geeigneten Ausgangspunkt zur Verwirklichung ihrer Pläne ansahen und daher das Werden des Balkan­bundes und des Balkankrieges förderten. Der Drang nach Konstantinopel war russische Nationalpolitik, und obgleich sich der russische Bauer, wenn er mit seinem Gefühl bei ihr war, dabei nur Kries: srejren die

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