Historische Blaetter 2. (1921)
Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg
Mächten wurden daher immer schwieriger. Im Balkankrieg, der unter russischer Ägide entstand und unter russisch-französischer Patronanz von den Balkanstaaten geführt wurde, hatten die Türken fast alle ihre europäischen Besitzungen verloren. Jetzt blieben ihnen außer dem kleinasiatischen Mutterland und den entlegenen Provinzen, von denen jede bereits einen Anwärter hatte, nur Thrazien und Konstantinopel mit den Meerengen. Konstantinopel war seit jeher das Ziel der russischen Sehnsucht, oft schon glaubten die Zaren, es mit Händen greifen zu können und immer wieder hatten sich fremde Hände dazwischen gelegt. Das Verlangen nach Konstantinopel, nach der Hagia Sofia, war durchaus volkstümlich, der Ehrgeiz der Regierenden konnte sich von der allgemeinen Strömung tragen lassen, und in den letzten Jahren erklärten sogar Nationalökonomen und Großhändler, daß man über die Meerengen zur Sicherung der Ausfuhr müsse verfügen können. So sehr aber England bereit war, sich mit Rußland sonst zu verständigen, so war es in diesem Punkte zurückhaltend, und wir wissen, daß es noch in der ersten Zeit des Krieges Konstantinopel nicht ausliefem wollte und daß der Zar damals in Ermanglung eines Besseren, nur von einer Intemationalisierung Konstantinopels und dem Besitz des östlichen Thrazien sprach. Erst die Zeichen russischer Kriegsmüdigkeit nach den Niederlagen bewogen die westlichen Verbündeten, auch Konstantinopel zu versprechen. Ungefähr so hatten sich die russischen Diplomaten den Gang der Dinge schon seit dem Balkankrieg vorgestellt. Sie hatten darauf gerechnet, daß sich England unter dem Druck von Kriegsnotwendigkeiten zu Zugeständnissen herbeilassen werde, und da zu Hauptverteidigern Koijstantinopels die Deutschen geworden waren, so lag die Kombination nahe, zur Erreichung des Zieles England als Genossen anzuwerben, was in dem Augenblick erreichbar war, in dem Frankreich in den Kampf eintrat. Noch im Jahre 1908 hatte sich Iswolski Vorteile in den Meerengen mit Hilfe Österreich-Ungarns verschaffen wollen. Das war bei der Zusammenkunft von Buchlau. England und Frankreich durchkreuzten den Plan durch ihren Einspruch, nur die Annexion Bosniens wurde verwirklicht, der russische Nationalismus und Panslawismus schäumte auf, das Wachstum des deutschen Einflusses in Konstantinopel beleidigte (wegen der Mission Liman-Sanders gab es im Jänner 1914 eine kritische Lage) und das Programm der russischen Diplomatie, in dessen Geist sie schon seit Jahren gehandelt hatte, konnte dem Zaren im November 1918 unterbreitet werden. Er nahm es günstig auf. Am 21. Februar 1914 fand in Petersburg eine Beratung statt, die ein umfangreiches Aktionsprogramm zum Gegenstand hatte, um Ruß-