Historische Blaetter 2. (1921)

Berthold Molden: Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg

Das Schicksal der Deutschen und der Weltkrieg von Berthold Molden Im letzten Viertel des neunzehnten Jahrhunderts waren die alten europäischen Kulturvölker an einem Ende ihrer inneren Entwicklung angelangt. Es gab Regungen, die in die Zukunft wiesen, aber nur eine einzige, wirklich starke Bewegung, die Neues schaffen wollte: die sozial­demokratische, und diese hätte sich ohne Revolution, die übrigens aus­sichtslos gewesen wäre, nicht durchsetzen können. Sie hatte mit den herrschenden Strömungen gemein, daß die materiellen Verhältnisse in den Vordergrund gestellt wurden; diese zu heben, war das Bestreben aller Völker, man wollte reicher und immer reicher werden, und man mußte es erst recht werden, wenn auch die großen Massen an den Vorteilen des Kulturlebens einigermaßen teilnehmen sollten. Das all­gemeine Interesse gehörte, neben den Forderungen des sozialen und nationalen Persönlichkeitsgefühls, den wirtschaftlichen Ausdehnungs­bestrebungen, es gehörte somit Tendenzen, die entweder geradezu auf Zusammenstöße losgingen oder doch die Gefahr von Zusammenstößen in sich schlossen. Um so mehr in sich schlossen, als die führenden Militärs, die sich pflichtgemäß unablässig auf ihn vorbereiteten, von dem Gedanken erfüllt waren, einander im kritischen Augenblicke den Vorteil des ersten Angriffs abzugewinnen. Aus diesen Zuständen und aus der politischen Konstellation, die sich aus den vorangegangenen Geschehnissen herausgebildet hatte, ist das ungeheure Ereignis, dessen Opfer das deutsche Volk wurde, erwachsen. Das zweite große Volk, das durch die Katastrophe in die Tiefe ge­stürzt wurde, ist das russische. Dieses hatte nach dem japanischen Krieg eine Verfassung gewonnen und hätte nun die neue Existenz auszubauen gehabt. Aber tatsächlich wurde der Gang der russischen Außenpolitik dadurch nicht geändert. Im Gegenteil: die überkommene Richtung wurde nur noch stärker betont. Die Entwicklung jenes poli­tischen Problems, das Europa schon seit zwei Jahrhunderten gerade wegen des russischen Drängens in Atem gehalten hatte — des V orientalischen — war mit dem Denken und Fühlen Rußlands immer in engem Zusammenhang gewesen, und jetzt schien dieses Problem am Vorabend seiner Lösung. Die orientalische Frage hatte sich ihrem End­stadium genähert, und Kompromisse zwischen den konkurrierenden i (

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