Historische Blaetter 1. (1921)

G. v. Below: Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft

Einen besonderen Anreiz zur Ausarbeitung meiner »Deutschen Ge­schichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen« (1916) hat mir der Wunsch gegeben, damit einen Beitrag zur Lösung des Pro­blems zu liefern, das in den Auseinandersetzungen zwischen politischer und Kulturgeschichte enthalten ist, wie ich denn auch meiner Schrift den Nebentitel »Geschichte und Kulturgeschichte« gab. Zugleich wollte ich mit ihr das Ausleseprinzip und den Beurteilungsmaßstab, denen der Historiker folgt, aufhellen. Eduard Meyers — im Hinblick auf unsere jüngsten politischen Erlebnisse gesprochenes — Wort: »Wir werden nie­mals zu einem gedeihlichen Ergebnis gelangen, wenn wir uns in theo­retischen Konstruktionen ergehen und aus der Geschichte zu lernen ver­schmähen,« gilt auch für unseren Fall. Wenn man gewiß nicht bloß mit historischen Argumenten eine Theorie stützen oder ein System Um­werfen kann, so leisten solche doch bei Beweis und Widerlegung aus­gezeichnete Dienste1. Neuerdings habe ich mit historischen Argumenten die Forderung einer selbständigen Wissenschaft der Soziologie bekämpft, indem ich darauf hinwies, daß die brauchbaren, die wertvollen »soziologischen« Erkennt­nisse im Rahmen der einzelnen alten Disziplinen gewonnen worden sind2. Man mag einwenden, daß es ja nicht mit einem Male anders werden, mit einem Male eine Sonderdisziplin der Soziologie sich glänzend betätigen könne. Darauf wäre zu erwidern, es gebe doch zu denken, daß — nach unserer historischen Beobachtung — die reifen Früchte dieser Sonderdisziplin noch immer ausbleiben, obwohl doch »Soziologen«, die keiner alten Disziplin angehören, sich schon seit geraumer Zeit hören lassen, während die Vertreter der alten Disziplinen heute wie seit mehr als hundert Jahren mit vollem Erfolg Soziologie treiben. In den genannten Auseinandersetzungen, in denen ich mit historischen Argumenten eine Theorie zu stützen oder zu widerlegen gesucht habe, waren es namentlich die romantische Schule und deren Jüngerschaften, auf deren Arbeit ich aufmerksam zu machen hatte. In der Tat besteht ja seit der Romantik — je nach der Gegnerschaft, die man zu bekämpfen hat, wird man betonen, daß es schon seit der Romantik oder daß es erst seit ihr der Fall ist — etwas, was wir im Hinblick auf Methode wie Auffassung im vollen Sinn Geschichtswissenschaft nennen dürfen, und wenn man von umfassendem Verständnis des Historikers für die mensch­1 Vgl. meinen Aufsatz »Zur Verteidigung der geschichtlichen Betrachtung«, »Grenz­boten« vom 6. Februar 1921, S. 142. 2 Vgl. meine Schrift »Soziologie als Lehrfach« (vermehrter Sonderdruck aus Schmollers Jahrbuch, Jahrg. 1919; München 1920) und meine Abhandlung »Soziologie und Hochschulreform«, Weltwirtschaftliches Archiv, 1921, Bd. 16, S. 512 ff.

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