Historische Blaetter 1. (1921)
Harold Steinacker: Geschichtliche Notwendigkeiten deutscher Politik
machtpolitik Österreichs bewahren wollten, ließen sie auch für die Vergangenheit nur eine kleindeutsche Beschränkung auf die engeren deutschen Aufgaben als richtig gelten. So erklärte Sybel die Gründung des deutschen Kaisertums durch Otto 1. für einen Fehler und ein Unglück1. Ihm trat Ficker entgegen, der Sohn der roten Erde, der in Österreich seine zweite Heimat gefunden und die Innsbrucker historische Schule gegründet hat. Die Kaiserpolitik Ottos, meinte er1 2, hat das deutsche Volk für drei Jahrhunderte zur Vormacht Europas gemacht, hat seiner Geschichte einen großen Zug aufgeprägt, hat es kulturell reich befruchtet, war ein Segen für die allgemeine Entwicklung Europas. Und vor allem: das deutsche Königtum hatte keine andere Wahl. Die geographische Lage schreibt unserer Politik das Gesetz vor. Wir sind ein Volk der Mitte und müssen unseren Nachbarn mit einer gewissen Macht entgegentreten, wenn sie sich nicht vereinigen und uns überwältigen sollen. Der Sybel-Fickerische Streit ist berühmt geworden. Fast alle Geschichtschreiber der alten Kaiserzeit haben dazu Stellung genommen; erzeigte, wie ein Wetterglas, die Schwankungen der historisch-politischen Spannung an. Heute hat man sich auf einer mittleren Linie so ziemlich geeinigt3. Ein Altmeister deutscher Forschung, Dietrich Schäfer4, scheint mir die abschließenden Worte gesagt zu haben. Nach ihm kann unbefangenes geschichtliches Denken nicht im Zweifel sein, daß Ficker sich mit seiner Verteidigung der Kaiserpolitik ein Verdienst erworben. Zur Eindeutschung ostelbischer Gebiete, die angeblich von den Ottonen über der italienischen Politik versäumt wurde, habe Deutschland damals gar nicht genug Menschen besessen. Kein Herrscher seiner Zeit hätte aus 1 H. v. Sybel, Die deutsche Nation und das Kaiserreich 1S62. 2 J. Ficker, Das deutsche Kaiserreich in seinen nationalen und universalen Beziehungen, 1862, und Deutsches Königtum und Kaisertum, 1862. Ficker hätte Sybel einen Grundgedanken Rankes entgegenhalten können, den dieser in der tnglischen Geschichte (S. W. 14, S. 36) einmal so ausgesprochen hat: „Mit dem Schicksal läßt sich überhaupt nicht rechten. Wie Deutschland ohne seine Verbindung mit Italien, so würde England ohne die Verbindung mit Frankreich nicht geworden sein, was sie geworden sind. V or allem würde das große Völkersystem des Occidents, dessen Leben die Geschichte jedes einzelnen Volkes durchzieht und bestimmt, nicht zu Stande gekommen sein. Erst auf diesem Grund aber sollte unter stetem Kampf die Durchbildung der Nationalitäten nach und nach erfolgen“. In der Tat, wer will verkennen, daß die äußere Politik der Völker in ihren großen Richtungen betrachtet der Berechnung und dem freien Willen ungleich mehr entzogen ist, als die innere Politik und die geistige Entwicklung? England lehrt uns, daß Ideologien und Programmwünsche zur Außenpolitik nur im Verhältnis des Mittels zum Zweck stehen dürfen und nie umgekehrt. Schon in Bacons Essays findet sich diese Erkenntnis. 3 Vgl. jedoch die Einschränkungen v. Belows Der Deutsche Staat des Mittelalters, 1, 353-369. 4 D. Schäfer, Deutsche Geschichte 1, 162. — Vgl. jetzt auch seine Schrift: Sind wir Deutschen ein Eroberervolk? 1921. 41