Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Geschichte des Jahres
Geschichte des Jahres. 67 Resultate der Abstimmung fügen. Den Papst würde das Vicariat nicht weniger reizen, als die Losreißung der Romagna: wenn jedoch die Romagnolen die Fortdauer der kirchlichen Suprematie, wenn die Toscaner die Fortdauer ihrer Autonomie verlangen — so sei es darum! Falls aber die in Rede stehenden Provinzen im Gegentheil noch Einmal auf glänzende Weise ihren Willen, mit Piemont vereinigt zu werden, kund geben, so können und wollen wir uns dem nicht widersetzen. In dem Momente nun, wo wir zu unseren Gunsten den Satz verfechten, daß Mittelitalien volles Recht habe, selber über sein Geschick zu entscheiden, würden wir eine Ungerechtigkeit und eine Inkonsequenz begehen, wenn wir den Ünterthanen des Königs an den jenseitigen Alpenabhängen die Befugniß verweigern wollten, ihren Wunsch Frankreich anzugehören in aller Freiheit zu manifestiren." Herr von Thouvenel begnügte sich mit der Entgegnung: „Frankreich werde die vollendete Thatsache der Annexion anerkennen, die volle Verantwortlichkeit dafür aber Sardinien zuweisen." Die Ziffern, welche die Abstimmung selber am 10. und 12. ergab, überwanden alle weiteren Bedenklichkeiten. In der ge- sammten Emilia votirten nur verschwindend kleine Majoritäten gegen die Annexion; namentlich herrschte in der Romagna geradezu Einstimmigkeit wider das Priesterregiment, für dessen Rückkehr sich in Bologna B. von 22,000 Stimmenden blos zwei erklärten: selbst in Toscana verhielt sich die Zahl der Fürsprecher zu derjenigen der Widersacher der Annexion wie 70 zu 3. Am 22. Mär; nahm daher Victor Emmanuel die Annexion Mittelitaliens einfach an-denn die Redensart, daß er die Romagna seinen Staaten ein- verleibe, „ohne seiner schuldigen Ehrfurcht vor dem Kirchenoberhaupte Eintrag zu thun," wollte eben so wenig besagen, wie das Schattenbild einer Autonomie, das er Toscana ließ. Der Prinz von Carignan, unter dem aber Ricasoli nach wie vor Generalgouverneur blieb, ging jetzt als Statthalter nach Florenz: aber wenn seine Vollmachten ihm auch das Recht einer selbstftändischen Entscheidung in administrativen Angelegenheiten vindicirten, ward doch sogleich bestimmt, daß Heer, Flotte, Zollgrenzen und alle wichtigen Gesetze Toscana mit den übrigen Provinzen gemeinsam sein mußten; nicht minder sollte, da die Separatversammlungen in ganz Mittelitalien sich unmittelbar nach Vollziehung der Annexion aufgelöst, ein oberitalienisches Parlament fortan die einzige Volksvertretung int subalpinischen Königreiche bilden. Auf die Proteste der Herzoge achtete weder Frankreich, noch Piemont: und kaum weniger spurlos glitten die Bannflüche der römischen Curie von den Betheiligten ab, obschon die Kirche zu den schärfsten Waffen griff, die ihr überhaupt zu Gebote standen. Noch im letzten Momente setzte der Cardinal-Staatssekretar Antone l l i eine Depesche des Inhalts auf: „die Gründe, welche Frankreich stets gegen eine Intervention geltend machte, verfingen nichts, da man gar nicht einmal sagen könne, daß die, von den katholischen Nationen ihrem gemeinsamen Vater im Interesse der ge- sammten christlichen Welt geleistete Hilfe eine a u s- w ä r t i g e sei; abtreten -főnné der Papst von dem Erbe des heiligen Petrus nichts, da er nur dessen zeitweiliger Verwalter sei; er dürfe nicht eine Million der ihm von Gott anvertrauten Ünterthanen dem geistigen Verderben preisgeben; er sei den vier Provinzen der Romagna schuldig, eben so über ihnen zu wachen, wie über seinen anderen siebzehn Provinzen; endlich ließen sich alle die Motive, durch die man ihn zur Ceffion der Romagna bewegen wolle, mit demselben Rechte auf das ganze übrige Territorium des Kirchenstaates anwenden." Da sich Piemont durch diese Note nicht aufhalten ließ, schritt Pio Nono zur Verhängung der excommunicatio major. Die vom 29. März datirte Bulle war nach dem Muster derjenigen abgefaßt, welche ein halbes Jahrhundert früher wider Napoleon I. erlassen worden war. Es wurden darin keine Namen genannt ; aber Alle mit dem großen Kirchenbanne belegt, welche bestritten, daß die weltliche Herrschaft der Päpste eine göttliche Einrichtung sei, und insbesondere diejenigen, welche „den Abfall und die Losreißung der Romagna veranlaßt, begünstigt oder unterstützt" : nur der Papst könne den auf ihrem Haupte lastenden Fluch lösen, „wenn die aus der Kirchengemeinschaft Gestoßenen Buße thäten, öffentlich ihre Reue aus- sprachen und in jeder Beziehung vollkommenen Schadenersatz leisteten." Natürlich wurde das Exequatur zur Verlesung dieses päpstlichen Breve in den Kirchen weder von Frankreich, noch von Sardinien er- theilt. Auch scheint sich die Curie selber keinen Illusionen über die Stumpfheit des geistlichen Schwertes int neunzehnten Säculum hingegeben zu haben: lebte die Erinnerung, wie wenig sie 1809 damit ausgerichtet, doch noch zu frisch im Gedächtnisse! Sie richtete demnach ihr Augenmerk nur noch darauf, materielle Mittel zur Gegenwehr in möglichst großer Ausdehnung herbeizuschaffen. Dies lag ihr um so mehr am Herzen, als Mitte März Rom selber der Schauplatz ernster politischer Unruhen gewesen war. Bei einem Besuche, den der heilige Vater am 16. der Basilika des Vatikan's abstattete, war nämlich eine Demonstration der Gutgesinnten in Scene gesetzt worden, welche das Volk am folgenden Tage mit Evviva's auf Victor Emmanuel beantwortete. Am 19. wollten die Studenten ein Tedeum für Garibaldi und die Annexion abstngen; die anrückenden päpstlichen Gendarmen wurden von der Menge verhöhnt und hieben schars ein, so daß viele Todte und über hundert Verwundete auf dem Platze blieben: französische Patrouillen stellten die Ordnung wieder her; doch fand General Goyon Veranlassung, in einem eigenen Tagesbefehle das Officiercorps der Occupa- tionstruppen zurechtzuweisen, da mehrere Mitglieder