Pester Lloyd-Kalender 1861 (Pest, 1861)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1861. - Budapest
Eine historische Skizze. 29 Trophäe in die Hand des Siegers. Lebensmittel waren so viele in der Festung, daß die Besatzung noch 2 Monate hätte damit auskommen können. Am anderen Tage wurde die Obhut der Festung dem Oberstwachtmeister Beck an» vertraut, und es wurden als Garnison 4000 Deutsche und 2000 Ungarn, letztere unter Stephan K o h L r i's Führung hineingegeben. Der Großvezier sah in stumpfer Unbeweglichkeit der Erstürmung Ofens zu. Nach der Entwickelung der Katastrophe' machte er eine halbe Bewegung gegen das Lager des Churfürsten, um dann, als hätte er sich anders überlegt, nach Stuhlweißenburg zu fliehen." So ward Ofen, nachdem es 145 Jahre der Sitz fremder Herrschaft gewesen am 2. September, an demselben Tage, an dem es eine Beute des Halbmondes geworden, durch die Macht christlicher Waffen zurückerobert. Die Kunde von der Befreiung der Hauptstabt Ungarns erfüllte die Christenheit mit Jubel, und das Ereigniß ward in zahlreichen Schriften deutscher, französischer und italienischer Sprache, sowie durch die Ausprägung mehrerer Medaillen verherrlicht. Eine dieser Medaillen, die sich im Besitze des bekannten, vor einigen Jahren verstorbenen Antiquitäten-Sammlers Kiss befand, zeigt auf der einen Seite das brennende Ofen, mit der Umschrift: CUM DEO TR1UN0 ET VICTRICIBUS ARMIS, auf der Kehrseite: BUDA A SOLIMANNO OCCUPATA A. 1541, POSTANN. 145 A LEOPOLDO RE- CUPERÁTA A MDCLXXXVI, II. SEPT. Der unter den Mauern von Ofen errungene Haupterfolg war von weiteren Siegen begleitet, welche endlich die Türkenmacht dermassen brachen, daß im Frieden von Karlowitz (1699) ganz Ungarn mit Ausnahme des Banats an Leopold abgetreten werden mußte. Mit dem Aufhören der Osmanen-Herr- schaft, hatte auch der klägliche Zustand der Schwesterstädte sein Ende erreicht. Ofen hob sich zwar nie wieder zu jenem Glanze empor, der es in der Neige des Mittelalters zu einer der sehenöwürdig- sten Städte Europas gemacht, es hatte aufgehört, die Residenz der ungarischen Könige zu sein, und nie erhoben sich seine stolzen Paläste, das Werk von Jahrhunderten ans den Trümmern, mit welchen der fortwährende Kampf der Parteien um den Sitz der Königsgcwalt die ungarische Hauptstadt bedeckt hatten. Dagegen hatte sich Pest einer raschen Blüthe zn erfreuen, und es trat in dem Verhältnisse der beiden Städte jener Wechsel ein, welcher der in der Ebene liegenden Rivalin, das bis auf den heutigen Tag andauernde Uebergewicht verschaffte. Der von Eugen v. Savoyen geführte Krieg (1715 — 1718), welcher die letzten Spuren der Türkenherrschüft vernichtete, hat viel zum gedeihlichen Wachsthnm Pests beige- tragen, indem die Bewohner dieser Stadt die Armeen mit Lebensmitteln, Schiffen und anderen Bedürfnissen versahen, wodurch der Handel einen mächtigen Aufschwung erhielt. Auch war die breite Ebene vor Pest geeignet, den durchziehenden Truppen ein bequemes Lager zn biethen, wodurch ein, den kleinen Handel ermunternder vortheilhafter Geldverkehr ins Leben gerufen ward. Eine steigende Wichtigkeit erhielt Pest, als im Jahre 1723 die beiden höchsten Gerichtsstellen des Landes die S e p t e m v i r a l — und die königliche Tafel nach Pest verlegt wurden. Auch die gelichteten Reihen der Bevölkerung füllten sich wieder mit der Rückkehr des Vertrauens. Schon unter den Türken lebten Bewohner aus Rascien (Rosciani) gewöhnlich R a z e n, nach ihrem Glauben Griechen genannt, in der Waffcrstadt Ofens als Handelsleute, jetzt wurden neuere ärmere Klassen dieses Volksstammes auch im Taban und in P e st angesiedelt. Sie verschafften sich anfänglich ihren Unterhalt größtentheils durch Wassertragen in die Festung, wo alle Brunnen verschüttet waren. Die Wasserstadt ward von Kroaten bevölkert, weshalb auch dieser Stadttheil damals Kroatenstadt genannt wurde. Die Juden, die früheren Bewohner der Wasserstadt, übersiedelten nach Altosén. Am 23. Oc- tober verlieh Leopold sowol an Pest als Ofen besondere Privilegien, in welchen die frühern Vorrechte der beiden Städte bestättiget und erweitert wurden. Ofen erhielt den ersten, Pest den zweiten Rang unter den königlichen Freistädten zurück. Dessenungeachtet war die Ausdehnung Pests überwiegend im Vergleiche zum Wachsthnm Ofens, wie schon aus der im Laufe des vorigen Jahrhunderts entstandenen Vermehrung der Vorstädte ersichtlich ist. In Ofen entstand bloß gegen »das Ende der 80ger Jahre am Abhange des Schwabenbergs, wo sich zur Türkenzeit die sogenannte lange Dorstadt ausdehnte, die C h r i ft i n e n st a d t, so benannt nach der Prinzessin Christine, der Schwester Joses II. und der Gemalin des Herzogs von Sachsen Teschen. Zur selben Zeit ward auch der Stadtmeierhos in eine Promenade umgewandelt. Die anderen Vorstädte jüngeren Namens L a n d st r a s s e und N e u- stift, waren gleichfalls bloß Erneuerungen der wahrend der Belagerungen zu Grunde gegangenen Vorstädte Felhéviz (Foram Greisae) und Uj Buda. In Pest hingegen erwuchsen auf jungfräulichem Boden: 1767 die Theresienstadt, 1780—1790 die (Neustadt) welche unter Leopold II. vergrößert, nach diesem Monarchen den Namen Leopol d st a d t erhielt. Die Franz st a d t ist gleichfalls eine Schöpfung der Neuzeit, der auch die hervorragendsten Bauten der Stadt ihren Ursprung verdanken. So wurde der iu seiner 100 Quadr.- Klftr. langen Hauptfroute mit dreifachem Portale geschmückte und einen Flächenraum von 12,000 Quadr.-Klafter bedeckende Palast der Invaliden 1705 bis 1728 von dem Architekten Mar ti n ell i gebaut. In den letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts entstanden: das Neugebäude, das Lager- und Bürgerspital, der botanische Garten und mehrere andere ansehnliche Bauten. Das Stadtwäldchcn, gegen