Pester Lloyd-Kalender 1860 (Pest, 1860)

Pester Lloyd-Kalender für das Schalt-Jahr 1860 - Nachtrag

Nachtrag zur Nekrologie. 203 ten der Bevölkerung zusammengesetzt ist. Auch wur­den Franzosen nach Tunis Berufen zur Bohrung ar­tesischer Brunnen und zur Anlegung einer industriel­len Schule. Mitten in seinen Reformen überraschte den Bey derTod. Doch haben dieselben bereits die erfreu­liche Frucht getragen, daß der Werth des commer- ciellen Umsatzes von Tunis sich bis auf die Summe von 13 Mill. Frcs. gehoben hat, indeß das sechsmal so große, aber abgesperrte Marocco kaum für 18 Millionen Waaren jährlich ans- und einführt. Sei­nem Bruder und Nachfolger Si-Sadok hat somit der Verstorbene den Fortschritt auf der Bahn der Civili- sation wesentlich erleichtert. Spohr, Louis, geboren am 5. April 1784 zu Braunschweig, starb am 22. Oktober in Kassel. Er trat als Kammermusikus in die Dienste des Herzogs von Braunschweig, mit dessen Unterstützung er zuerst nach Rußland reiste und sich dann 1809 auf seiner Kunstreise in Deutschland, Frankreich und Italien den unbestrittenen Ruf des ersten Violinvirtuosen seiner Zeit erwarb, so wie die von ihm geschriebenen Violinkonzerte als Meisterwerke der Komposition an­erkannt wurden. Als Konzertmeister in Gotha schrieb er mehrere Oratorien und Opern: 1813 ging er als Kapellmeister nach Wien, wo er zur Zeit des Kongresses großes Aufsehen erregte und seine geniale Oper „Faust" schrieb. Vier Jahre darauf übernahm er die Mnsikdirektorftelle bei dem Theater zu Frank­furt am Main; 1819 berief ihn die philharmonische Gesellschaft, für die er mehrere große Symphonien schrieb, nach London, und er blieb von da ab ein Lieb­ling des englischen Publikums. Nach der Rückkehr ans England trat er, nach kurzem Aufenthalte in Dresden, zu Neujahr 1822 die Stelle als Hofkapell­meister und Generalmusikdirektor in Kassel an. Schon im folgenden Jahre verfaßte er hier seine berühmte Oper „Jesonda" : unter seinen späteren Werken gleicher Art sind besonders „Pietro von Al­bano" und die „Kreuzfahrer" aus dem Jahre 1844 beliebte Bühnenstücke geworden. In der letzteren Oper schlug Spor insofern eine neue Richtung ein, als er mit Beseitigung mancher Uebelstänve der Opernmusik ein musikalisches Drama im edelsten Sinne des Wortes zu schaffen suchte. Nicht minder bewährte er sich als Meister in der geistlichen Musik, wobei von seinen großen Oratorien insbesondere „die letzten Dinge", „des Heilands letzte Stunden" und „der Fall Babylons" hervorzuheben sind. Letz­teres, das gewaltigste von allen, schrieb er 1840 für ein großes englisches Musikfest, wo es mit beispiello­sem Enthusiasmus ausgenommen ward, wie denn Spohr überhaupt den stets wiederkehrenden Einla­dungen, sich zur Leitung der Aufführung seiner Kompositionen nach England zu begeben, mehrmals Folge geleistet hat. Stephensott, Robert, Sohn des Erbauers der ersten Eisenbahnen von Stokton nach Darlington und von Liverpool nach Manchester, starb 56 Jahre alt am 13. Oktober. Er half frühzeitig seinem Vater bei dessen Jngenieurarbeiten und wurde schon 1832 mit der Leitung der projektirten Liverpool-Birming- ham-Bahn betraut. Nach Einrichtung vieler anderer Schienenlinien vollendete er von 1847 bis 1850 sein Meisterstück und das Wunderwerk unsers Jahr­hunderts, die über den Menaikanal führende Röh­renbrücke, die den Namen der Britanniabrücke führt. Er entwarf ferner den Plan zu einer Bahn über den Jsthums von Suez, svwie zu mehreren Schienenwe­gen in Frankreich und der Schweiz; baute 1846 bis 1849 die Brücke über den Tyne bei Newcastle, und ging 1853 nach Canada, um die Arbeiten zu einer ähnlichen Brücke über den Lorenzstrom bei Montreal einzuleiten. Seit 1847 saß er im Parlamente, wo er mit den Konservativen stimmte; auch gehörte er zu den Leitern der ersten Weltindustrieausstellung, die 1850 in London stattfand. Westmoreland, John Fane Earl vf, gebo­ren 3. Feber 1784, starb nach kurzem Krankenlager auf seinem Familiensitze zu Aptharpehouse am 16. Oktober. Er nahm an der Belagerung von Hünin- gen und an dem Feldzuge von 1814 in Frank­reich Theil. Damit endigte seine militärische Lauf­bahn. Denn schon im August dieses Jahres erhielt er den Gesandtenposten in Florenz und zeichnete im folgenden Jahre, das er im Hauptquartier der gegen Neapel operirenden österreichischen Armee zubrachte, gemeinschaftlich mit dem Feldmarschall Bianchi, die Konvention von Casa Lanza, durch wel­che das Königreich Neapel seinem rechtmäßigen Köni­ge Ferdinand zurückgegeben wurde. Als Sir Robert Peel im Jahre 1841 Premier wurde, erhielt Lord Weftmoreland durch Lord Aberdeen, den damaligen Minister des Auswärtigen, die Gesandtschaftsstelle in Berlin, von wo er tut Jahre 1851 in derselben Eigenschaft nach Wien versetzt wurde. Dort war er Mitunterzeichner des am 2. Juli 1850 zwischen Dänemark und Preußen abgeschlossenen Friedens: hier war er, neben Lord John Russell, Spezialbe- vollmächtigter beim Kongresse des Jahres 1855. Im November desselben Jahres zog er sich in den Ruhe­stand zurück. Während seiner diplomatischen Carriere beschäftigte er sich vielfach mit der Compvsition von Symphonien, die indeß keine besonders beifällige Aufnahme fanden. Wenige Tage vor seinem Tode ward das Erscheinen einer von ihm verfaßten Ge­schichte der großen europäischen Kongresse von Wien, Aachen, Troppau und Laibach angekündigt. Wutschitsch Peritschitsch, Thomas, serbi­scher Wojwode und Exsenatspräsident, starb 75 Jahre alt am 14. Juli zu Belgrad im Gefängnisse. Ein Genosse des Milosch Obrenowitsch während des Un­abhängigkeitskrieges , war er auch nach Milosch's Erhebung auf den Fürstenstuhl der einzige Mann gewesen, den dieser unbändige Despot scheute. Und

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