Pester Lloyd-Kalender 1860 (Pest, 1860)

Pester Lloyd-Kalender für das Schalt-Jahr 1860 - Geschichte des Jahres

Heschichle öcs Jahres Das alte Jahr ging in ziemlich bewegter Weise zu Ende: doch schien sich in seinem letzten Monate Alles danach anzulassen, als sollte der nächste Anlaß zu einem neuen Konflikte sich nicht am Ticino, sondern an der untern Donau vorbereiten — wenn gleich so viel bereits durch die gesammte politische Entwicklung seit dem Abschlüsse des Pariser Friedens klar gewor­den war, daß diesmal Oesterreich und Frankreich die sich feindlich gegenübertretenden Mächte sein würden. Der erste Anstoß ging diesmal von Serbien aus. Am 16. Dec. 1858 trat in Belgrad die Skupschtina zusammen. Sie bestand aus 500, dem Fürsten fast durchweg gehässig gesinnten Ablegaten, tue einen persönlichen Gegner Alexander's. den steinreichen Salzhändler Major Mischa, zu ihrem Präsidenten erwählten und von 1500 Bewaffneten umgeben wa­ren. Die Zustände waren durch die vorangegangencn Ereignisse im ganzen Lande so tief unterwühlt, daß schon am 21. eine Deputation an Alexander abgeord­net ward, die ihn einfach ersuchte abzudanken, da er „weder den Willen noch die Fähigkeit habe, das Glück des Volkes zu gründen." Der Fürst verweigerte die verlangte Abdikation und floh, da der Senat am nächsten Tage dem Beschlüsse der Skupschtina zu­stimmte, in die Türkenseftung. Hieraus erklärte die Versammlung den Thron für erledigt und berief den alten Milosch Oorenovitsch, der sich schon in Bukurest eingesunden, aus den Fürstenstuhl zurück. Nun jedoch wäre es beinahe zum Kampfe gekommen, da eine be­deutende und einflußreiche Partei / an deren Spitze Garaschanin und insbesondere der Senatspräsident Wutschitsch standen, zwar Alexander's Entsetzung, kei­neswegs aber Milosch's Wiedereinsetzung wünschte. Der Senat protestirte daher gegen die Anmaßung der Executivgewalt von Seiten der Skupschtina und am 24. ward ein Barrikadenkampf innerhalb der Mauern Belgrad's nur dadurch verhindert, daß das Militär absiel und sich für die Volksversammlung erklärte. Der Protest ward am 24. zurückgenommen und am 30. richteten beide Körperschaften vereint an die Pforte das Gesuch, Milosch die erbliche Für­stenwürde zu verleihen. Inzwischen drohte aus diesen lokalen Wirren ein europäischer Krieg zu erwachsen, da Oesterreich den im Banate kommandirenden FML. Grafen Coroniui beauftragte, eine Brigade zur Dis­position des in der Festung Belgrad residirenden Pascha's zu stellen, für den Fall daß dieser sich inmit­ten der serbischen Revolution bedroht glauben sollte; wahrend das Tuilerienkabinet jede Ueberschreitung der Donau durch kaiserliche Truppen zum casus belli stempelte. Dasselbe berief sich dabei auf jenen Artikel des Vertrages vom 31. März, der in Serbieu keine Intervention einer einzelnen Großmacht ge­stattet; während die Wiener Regierung darauf hin­wies, daß man in die türkische Festung gelangen könne, ohne einen Fuß breit serbischen Territorium's zu berühren. Die Prineipienfrage blieb indeß uner­ledigt und das Ungewitter verzog sich: denn die Nachgiebigkeit des Fürsten und des Sultans machten alle weiteren Erörterungen überflüssig. Bald nach Neujahr räumte Alexander das Feld und schickte seine Abdankung nach Konstantinopel: Ende Jänner 1859 willigte die Pforte in die einfache Reintegrirung des Berats von 1830, der Milosch die Erbfürstenwürde zusprach und gesetzlich niemals aufgehoben worden war; erließ dem Greise auch um seines hohen Alters willen die Reise nach der türkischen Hauptstadt, die sonst Behufs der Investitur erforderlich gewesen wäre. Die Skupschtina votirte nun Preßfreiheit und eine Reihe anderer Reformen; besonders keck und ver­tragswidrig trat sie gegen die im Lande angesiedelten Fremden und die Gerichtsbarkeit der auswärtigen Konsulate auf; vornemlich beschäftigte sie sich jedoch mit der Verfolgung aller hervorragenden Gegner der Oorenowitsche, die entweder wie Wutschitsch einge­sperrt, oder wie Garaschanin verbannt wurden, so daß Milosch, als er am 6. Febee in Belgrad eintraf, so ziemlich reinen Tisch fand. Die Versammlung löste er zwar sofort aus: allein er überzeugte sich auch, daß er in seiner althergebrachten Despotenmanier nicht mehr das Sc-wter handhaben könne. Ein Aus­schuß von 34 Männern blieb zur Vollendung der be­gonnenen Arbeiten zurück; und am 22. September mußte Milosch eine neue Skupschtina in Kragujewats eröffnen, die ihm gleich in ihrer ersten Sitzung bewies, weß Geistes Kind sie sei, indem sie die von dem Für­sten vorgenommene Ernennung ihrer Sekretaire kas- sirte und selber zu deren Wahl schritt. Die Ereignisse in den D o n a u s ü r st e n t h ü m e r n waren eben­falls ganz danach angethan, die von Serbien aus­gegangenen Complicationen noch zu verschlimmern. Die Rumainen umgingen nemlich die, in der Auguft- konvention aufrecht erhaltene Trennung der beiden Provinzen dadurch, daß der Oberst und Hetman Alexander Cusa am 7. Jänner in Jassy zum Fürsten der Moldau und am 24. in Bukurest zum Fürsten der Walachei proklamirt ward, wobei er noch überdies, ehe er als Alexander Johann I. die Regierung an­trat, schwören mußte, auf die Einigung der Moldo- walachei unter einer auswärtigen Dynastie hinzu­wirken und zu abdiciren, sobald dieselbe zu Stande käme. Daß der Stretch gegen Oesterreich geführt

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