Pester Lloyd-Kalender 1860 (Pest, 1860)

Pester Lloyd-Kalender für das Schalt-Jahr 1860 - Geschichte des Jahres

112 Geschichte des Jahres. war, war klar- und der Finger Napoleon's ließ sich bei diesem eklatanten Bruche der Augustkonvention umsoweniger verkennen, als Europa sich jetzt erinnerte, daß neben dem Grasen Cavour auch der damals noch völlig unbekannte Cousa im Laufe des Sommers zu Plombieres eifrige und lange Berathungen mit dem Kaiser der Franzosen gepflogen hatte. Eine Einigung der Mächte über Inhalt nnd Tragweite der August­konvention schien um so unerläßlicher, als die Ru­mänien immer weiter gingen: am 10. Feber faßten die gesetzgebenden Versammlungen in den beiden Hauptstädten sogar den freilich nickt zur Ausführung gelangenden Beschluß, sich gleichfalls mit einander zu verschmelzen. Die Pariser Konferenz, welche vom 7. bis 13. April zum vierten Male tagte, konnte jedock zu einer Verständigung umsoweniger kommen, als man sich damals am Vorabende des italienischen Krie­ges befand: Oesterreich und die Pforte beharrten bei ihrem Proteste gegen die Doppelwahl, welche Frank­reich, Rußland und Sardinien, entschieden verthei- digten, Preußen und England zu dulden geneigt waren. Erst nach dem Tage von Villafranca versam­melten sich die Konferenzbevollmächtigten zum fünf­ten Male, um in einer einzigen Sitzung am 6. Sept. von der Erklärung des Sult.an's Akt zu nehmen : die Türkei wolle ausnahmsweise und unter dem ausdrück­lichen Vorbehalte, daß dergleichen nicht wieder ge­schehen dürfe, die Wahl genehmigen; verlange aber, daß Cusa zur Investitur in Konftantinopel erscheine und werde dieselbe auch, um jedem Präjudiz vorzu­beugen , durch zwei gesonderte Ferman'S vollziehen. Mittlerweile hatte sich in den Fürstentbümern selber bereits wieder die jeder Neuerung abholde Bojaren- partei zu regen begonnen: sie dominirte in der Cen­tralversammlung zu Fokschani, die am 22. Mai ein­berufen worden war und, lediglich um jede Union zu Hintertreiben, im August, wenn schon vergeblich, Cusa aufforderte augenblicklich abzudanken, damit das Volk zur Ernennung eines ausländischen Fürsten schreiten könne. Das Letztere, wußten die Herren in Fokschani wohl, werde Europa nie gestatten: und so hatten sie denn die schönste Aussicht, daß Alles, in­clusive ihrer eigenen Privilegien, beim Alten bleiben werde, sobald nur einmal Alexander Johann beseitigt sei. Aber die Liberalen durchschauten diesmal das Manöver und deckten es so schonungslos auf, daß der Fürst sich auf die öffentliche Meinung zu stützen ver­mochte , um das heuchlerische Begehren von sich zu weisen. Der Pforte freilich war damit wenig gehol­fen. Im Gegentheile, wie sie um Ostern ihre Herr­schaft in Belgrad ganz offen von den Serben bedroht sah, so daß der in der Festung kommandirende Pascha sich nur durch die Erklärung zu schützen vermochte, er werde bei dem ersten verdächtigen Anzeichen die Stadt in einen Schutthaufen verwandeln; wie die Moldowalachen ihre Suzcrainitätsrechte mißachteten; Wie in Montenegro, wo der Ausbruch des italienischen Krieges die Grenzreaulirungskommission auseinander gesprengt, und Danilo sich aufs neue regte und durch Deputationen in direkte Verbindung mit Milosch setzte: so brachen auch in Bosnien, in der Herzego­wina und in Candia die alten kaum verharschten Wunden wieder auf. Das ganze Jahr 1859 hin­durch mußte die Türkei ihre Finanzen gründlich rui- niren, um an allen durch die Rajah unterminirten Punkten Observationscorps und Lager zu konzentri- ren; und doch erreichte sie auch nicht das mindeste Resultat. Und um mit den, an den Vertrag vom 31. März sich knüpfenden Fragen hier abzuschließen: gleich der serbischen, der Fürstenthümer-, der Rajah-, wartet die Donausckifffahrts - Angele­genheit immer noch ans ihre definitive Erledigung. Die Aprilkonftrenz war mit der Additionalakte vom 5. März, die Oesterreich seinem Versprechen gemäß vorlegte, nicht zufrieden: und in der September- sitzung erklärte Fürst Metternich, in Betreff dieses Punktes ohne Vollmachten zu sein, als Einer der an­deren Repräsentanten denselben auf's Tapet bringen wollte. Wie bedenklich aber auck alle diese Verwicklun­gen waren: die öffentliche Aufmerksamkeit hatte seit Ende des Jahres keine Zeit mehr, sich ihnen zuzuwen­den ; denn in den Tuilerien war ein Wort gefallen, das dieselbe ungetheilt in Anspruch nahm und dessen Konsequenzen sich so schnell entwickelten, daß noch vor Ablauf des Monates Jänner ein Krieg zwischen Oesterreich und Frankreich in Italien unvermeidlich geworden zu sein schien. „Ich bedaure — sagte Napoleon 111. bei dem Neujahrsempfange des diplomatischen Korps zu dem Freiherrn von Hübner — ich bedaure, daß unsere Beziehungen zu Ihrer Regierung nicht mehr so gut wie früher sind, bitte Sie jedock, dem Kaiser zu melden, daß meine persönlichen Gefühle für ihn unverändert sind." Schon am 10. erhielt diese Phrase einen unheil- schwangern Kommentar durch folgenden Passus der Thronrede, mit welcher Victor Emanuel die sardini- schen Kammern eröffnete: „der Horizont des begin­nenden Jahres ist nicht ganz heiter; während wir die Verträge achten, sind wir nicht unempfindlich ge­gen den Schmerzensschrei, der aus so vielen Theilen Italiens zu uns herüber tönt; stark durch Eintracht, gestützt auf unser gutes Recht, lassen Sie uns klug und entschlossen den Rathschluß der göttlichen Vor­sehung erwarten." Drei Tage später reiste Prinz Napoleon aus Paris nach Turin ab, um dort seine Vermählung mit der Prinzessin Clotilde, der Tochter des Königs von Piemont zu feiern. Auch der „Mo­niteur" konnte jetzt die Eristenz eines sardofranzösi- schen Schutz- und Trutzbündnisses nicht mehr läug- nen: er gab am 24. im Gegentheile zu, daß der Kaiser wünschen müsse, seine Familienverbindungen im Einklänge mit der traditionellen Politik seines Landes zu sehen; und stellte nur in Abrede, daß die

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