Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

164 Geschichte des Jahres. Unwillen der öffentlichen Meinung zu beschwichtigen, die sich in ganz Europa laut genug vernehmbar machte. Durch ein eigenes Handschreiben beauftragte er daber seinen Vetter den Prinzen Napoleon Anfangs Novem­ber mit der Bildung einer Commisson, die untersuchen solle, ob die „freie Negereinwanderung" wirklich ein verkappter Sklavenhandel sei. Besonderer Ernst ist es wohl mit diesem Schritte nicht. Denn nach dem, was man von den Arbeiten-der Kommission hört, soll sie sich dabin aussprechen, man müsse Sorge dafür tragen, daß die „Einwandererschiffe" neben den Negern auch immer Negerinnen an Bord nähmen, um so die „aus- gewanderten" Schwarzen in ihrer neuen Heimatb bes­ser akklimatisiren zu können. Mit anderen Worten, neben dem Sklavenhandel will Frankreich auch Skla­venzüchtung im ausgedehntesten Sinne des Wortes be­treiben ! Ueberdies ist zufolge der jüngsten Nachrichten schon wieder ein anderer Zwist im Anzuge, da Ende November ein nordamerikanischer Kriegsdampfer wieder­um ein Schiff des Hauses Regis gezwungen hat, die Schwarzen, die es eingenommen, an der Küste von Li­beria ans Land zu setzen. Um dieselbe Zeit entging dem Tutlerienkabinete eine andere Frage, die Graf Walewski sich seit Jah­ren bemüht, in den Bereich der Pariser Confcrenzen zu ziehen. Der deutsch-dänische Streit über die Herzogthümer erhielt eine, Wenigstens vorläufig zu­friedenstellende Lösung, ohne daß es irgend einer aus­wärtigen Macht gestattet worden wäre, sich in diese rein iynere Angelegenheit des Bundes zu mengen. Auch hier hatten die französischen Einmischungs-Bestrebun­gen von Petersburg aus wenig oder gar keine Unter­stützung gefunden. Rußland, das schon im Oriente und der Türkei gegenüber in allen diplomatischen Konflik­ten Frankreich willig den Vortritt überließ, ihm oft nur lau und halb indifferent zur Seite stand, Rußland hatte in Bezug auf die holstein-lauenburgische Angelegenheit bereits unter dem 1. Dezember 1857 mittelst einer Note des Fürsten Gortschakoff an den Kopenhagener Hof er­klärt : es erwarte, Dänemark werde die erforderlichen entgegenkommenden Schritte zur Herbeiführung einer gütlichen Ausgleichung thun, da die Wiener Schluß­akte der Bundesversammlung nicht nur das Recht gebe, sondern sogar die Verpflichtung auferlege, den Streit um die Herzogthümer in Frankfurt als an der allein kompetenten Stelle zur Entscheiduug zu bringen. Da­rauf hatte denn auch der Kaiser der Franzosen in sei­ner Thronrede vom 18. Jänner, wenn auch in etwas ge­wundeneren Ausdrücken, dieselbe Ansicht ausgesprochen. „Es sei — hatte er dem Corps Legislatif gesagt — die Differenz der Herzogthümer als eine rein deutsche Frage zu betrachten, die, so lange als die Integrität Däne­marks nicht bedroht sei, keine fremde Einmischung zu­lasse." Demgemäß drohte der Bundestag Anfangs Februar mit Executionsmaßregeln, wenn seinen gerech­ten Ansprüchen nicht endlich genügt werde. So von Frankreich und Rußland z wie längst von Großbritan­nien seinem Schicksale pretSgegeben, mochte das Ko­penhagener Kabinet denn doch wohl, den beiden deut- • schen Großmächten gegenüber, in seiner Jsolirung auf den Beistand, den eine Stockholmer Depesche ihm im Namen des Panstandinavismus wider ein aggressives • Vorgehen Oesterreich's und'Preußen's an der Eider ver- ! hieß, kein genügendes Vertrauen setzen. Nachdem noch der Sommer mit Winkelzügen vertrödelt war, ; entschloß es sich im Herbste zur Unterwerfung unter die Resolutionen des Bundes. Drei königliche De- f trete vom 6. November hoben, wie es von Frank­furt aus verlangt worden war, die Gesammtstaats- I Verfassung, welche die Herzogthümer der dänischen j Majorität des von allen Landestheilen beschickten i Reichsrathes subordinirte, für Holstein und Lauenburg auf; kassirten diejenigen Verfügungen, welche den Reichs- j rath ermächtigten, Gesetze über Verwaltung und Ver- j kauf holstein-lauenburgischer Domainen zu geben; und gestanden zu, daß zwischen°der Kategorie der gesammt- j staatlichen, von dem Reichsrathe zu entscheidenden, und derjenigen der speziell die Herzogthümer berührenden, aljo auch ausschließlich von deren Ständen zu bcra- thenden Objekte eine gerechtere Sonderung vorge­nommen werden solle, bei deren Anordnung die Spe­zialversammlungen der deutschen Provinzen zu befra­gen und anzuhören sein würden. Allerdings stehen auch hier der Hinterthüren immer noch genug offen; aller­dings wird in praktischer Beziehung immer noch das ' Meiste davon abhängen, welchen Spielraum Dänemark den neu einzuberufenden Ständen bet der Wahl der Deputtrten und dann für das Aussprechen ihrer An­sichten gewährt; von der größten Wichtigkeit wird es endlich sein, inwieweit man in Kopenhagen die Voten der Stände berücksichtigt und ob man dort nicht wie­derum „im Verwaltungswege" mit der linken Hand Alles zurückzunehmen versucht, was man mit der rechten gegeben : immer aber läßt sich nicht verkennen, daß ein großer Schritt vorwärts geschehen und durch die An­erkennung der Autorität des Bundestages int Prin­cipe viel gewonnen ist. Neben den oben erwähnten Umständen trug zu dieser plötzlichen Sinnesänderung Dänemarks'nach jahrelangen Tergiversationen wohl am meisten der Umschwung bei, der in Preußen vor sich gegangen war. Eine, wie es scheint unheilbare Krankheit, die König Friedrich Wilhelm lv. im Juli 1857 befallen, hatte dort sic Herrschaft der neupreußischen Partei gebrochen, die nach innen hin wie ein Alp auf dem Lande lastete, und ibm nach außen hin jede Kraft der Initiative so vollständig gelähmt hatte, daß seine Regierung stets ihren Impuls von der Newa her erwartete, während des orientalischen Krieges Alles that um Rußland gefällig zu sein, so weit '' eine unrühmliche Neutralität ihr das gestattete, und nach dem Friedensschlüsse, seitdem die Höfe von Paris und Petersburg sich einander wieder genähert, um die Freundschaft Napoleo's buhlte, dessen Vetter im Früh­jahr 1857 eine glänzende Aufnahme in Berlin fand, m

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