Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres
162 Geschichte des Jahres. pompösen Menschen- und Gleichheitsrechte von 1789. Was die Moldowalachen mit allen diesen Herrlichkei- ten eigentlich anfangen sollen, kann wohl nur die Zu- kunft dem staunenden Europa und dem nicht minder verblüfften Frankreich insbesondere, lehren. In einer kaum weniger unvorteilhaften Weise für die Türke erfolgte die Regulirung der montenegrinischen Grenzfrage durch die ConstantinoplerCon- seren; der fünf großmächtlichen Gesandten und Ali Paschas. Die Commission hatte ihre chartographischen Berichte vorgelegt, und demgemäß sprach der Congreß in seinem Schlußprotokolle vom 25. Oktober dem Für- sten Danilo fast alle streitigen Distrikte, namentlich die Ebene von Grahowo zu. Nur die Erwerbung eines Hafenplatzes für seinen Schützling konnte Graf Wa- lewski nicht erreichen. Es war gar zu handgreiflich, daß ein solcher montenegrinischer im Grunde nichts als ein französisch-ruffischer Hafen sein würde: und einer derartigen permanenten Festsetzung Rußland's und Frank- reich's an diesen Gestaden liefen denn doch alle Interessen Osterreich's und England's allzu direkt entgegen, welches Letztere überdies für sein Protektorat über die mit Griechenland fort und fort liebäugelnden jo- Nischen Inseln in so arge Besorgniß gerathen war, daß es im November Mr. Gladstone als außerordentlichen Commissarius nach Corfu absandte, um die Beschwerden der Bevölkerung zu untersuchen und ihnen abzuhelfen. Im Uebrigen konnte der Groß- vezier nicht einmal so viel erlangen, daß wenigstens die Oberhoheitsrechte des Großherrn auf die Czernagorae von den Großmächten anerkannt wurden; die Conferenz blieb dabei, daß sie nur die Grenzen des Ländchens zu fixiren habe und ging auseinander, sobald dies geschehen war. Im Rathe des Sultans scheint große Furcht davor zu herrschen, wie die Gläubigen die Pu- blicirung dieser Convention aufnehmen werden. Hat doch Ende November noch das amtliche „Journal de Constantinople" die vom „Nord" in Brüssel veröffentlichten Conferenzprotokolle für unecht ausgeben müssen, obfchon dieselben alle Kennzeichen der Authenticität an sich tragen, auch von keiner anderen Regierung demen- tirt worden sind. So reiht sich denn inderTürkei eine Mine hart an die andere; und aus jeder sieht allstündlich eine Explosion zuerwarten. JnMontenegroistimGrundenichtS zu einem definitiven Abschlüsse gebracht, da die lehnS- herrlichen Rechte des Sultans über das Ländchen nach wie vor in suspenso geblieben sind. Die liebenswürdigen Insassen der schwarzen Berge werden jenseits ih- rer neuen, wie bisher jenseits ihrer alten Grenzen stehlen, plündern und Herden rauben: und lassen die Türken sich von den „ritterlichen Helden" des „Moniteur" nicht gutwillig die Hälse abschneiden, so wird Frankreich über Vertragsbruch schreien, wie es im August und Oktober diese- Jahres die Moslim beschuldigte, den ihnen oktroyirten Waffenstillstand verletzt zu haben, weil sie die Diebsexpeditionen der Berg- männer zurückschlugcn- Die Rajah der Herzegowina bat die Türkei Anfangs August durch große Zugeständnisse bezüglich der Steuern beschwichtigt: wie aber kann diese Ruhe auf die Dauer anhalten, wenn hart daneben Fürst Danilo mit den unzufriedenen Christen Verbindungen anknüpft und die Pforte sich, so oft sie Truppen dorthin dirigirt, erst in Paris entschuldigen muß, daß sie es nicht auf die Czernagora abgesehen habe, wo sie doch den eigentlichen Herd aller dieser Jnsurrectionen zu suchen hat? So war es im Sommer dieses Jahres seit der Einstellung sder Feindseligkeiten gegen Danilo am 14. Mai: so wird und muß es auch ferner sein. Es ist dem ottomanischcn Reiche hier ein Sporn in die Seiten gesetzt: jeder Aufstand der Rajah in der Herzegowina und in Bosnien hat in den Schwarzen Bergen hinfort seinen Brennpunkt, seine natürlichen Bundesgenossen, im Falle des Mißlin- genss eine Zufluchtsstätte, kurz seinen, für die OSmanlt unerreichbaren und unangreifbaren Focus vor und nach dem Kampfe so gut wie während desselben zu suchen. Denn von Bosnien kann man nicht einmal sagen, daß das Feuer dort unter der Asche schlummere. Türkische Truppen sind hier pacificatorisch zwischen beide streitende Theile, die Rajah und die muselmännischen Begs getreten: aber im Juli und nochmals im Oktober haben die Bosniaken sich auf's Neue erhoben — selbst eine scheinbare Ruhe ist daselbst nicht erzielt. In Serbien zieht die im Oktober 1857 angefachte Agitation, statt durch die oben erzählten Conceffionen vom Frühjahr 1858 abgestillt worden zu sein, weitere und weitere Kreise. Nach der Geldaristokratie der Senatoren ist die Masse des Volkes mit ihren Forderungen hervorgetreten, und die neuen Machthaber waren außer Stande, der Masse einen Damm entgegenzusetzen. Sie haben in die Einberufung der fast vergessenen allgemeinen Landesversammlung oder Skupschtina willigen müssen, die aus langem Schlafe 1848 nur auf wenige Momente in's Leben gerufen ward, um sofort wieder nach Hause geschickt zu werden. Die Pforte hat sich nach einigem vergeblichen Sperren fügen müssen: jetzt, wo die Wahlen vollzogen sind und noch im Laufe des December der Zusammentritt der Abgeordneten zu erwarten steht, kann sie nichts thun, als mit in den Schoß gelegten Händen zusehen, welche Prüfungen dieser neue Sturm, unter freundlicher Beihilfe des französischen Generalkonsuls über ihr tief gebeugtes Haupt verhängen wird. In denDonaufür- stenthümern ist allen Anzeichen nach eine Intervention der Bürgschaftsmächte kaum mehr lange zu ver- meiden. Die Umtriebe und Bestechungen der Bojaren zum Behufe der Hospodarenwahlen wühlen das Land durch und durch auf und drohen das Unterste zu oberst zu kehren: während die Mitglieder der provisorischen Kaimakamien einander verketzern, maltraitiren und bei den Großmächten verklagen, deren jede ihren besonderen Schützling darunter hat. Die Rajah in Candta macht den allgemeinen Tanz mit und läßt seit dem November wieder merken, daß sie durchaus keine