Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)
Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres
Geschichte des Jahres. 159 fers tn den beiden Conseils, denen sie als Mitglieder angehörten, Reden von hoher Bedeutung, die man allgemein als ein neues politisches Programm des Kaiserreichs auffaßte. Graf Persigny verkündete den Napoleonismus als Hort und Heil Frankreich's, der Ideen von 1789 und aller westlichen Nationalitäten; die Allianz mit England aber als den Eckstein des imperialistischen Staatsgebäudes: und Graf Morny redete in begeisterter Weise der Decentralisation das Wort. Indessen die letzten Monde haben bewiesen, wie viel oder wie wenig Gewicht vielmehr diesen, nur auf den Moment berechneten Auslassungen beizulegen ist. Im Grunde ist nichts davon bestehen geblieben, als der Lobgesang Perfigny's auf das westmächtliche Bünd- niß, der wohl den Dank des Kaisers für die Gefälligkeit der Königin enthielt. Im Innern wirkt das Sicherheitsgesetz fort und fort; das Rentengesetz ist nicht zurückgenommen, wenn es gleich weniger ostentiös ausgeführt wird. Legitimtsten, die Anfangs Juli den Grafen Chambord und Dom Miguel, den portugiesischen Prätendenten, tn Frankfurt am Main besuchten, wurden zuchtpolizeilich bestraft. Dasselbe Geschick traf im November den Grafen Montalembert wegen eines Zeitungsartikels : und daß der ^Imperialismus im Schoße der intelligenteren Klassen nicht die mindesten Fortschritte gemacht, zeigte sich so recht deutlich, als der Graf die ihm am 2. December und mit Berufung auf die Bedeutung dieses Datums bewilligte Begnadigung als eine „Beleidigung" zurückwies und seinen Appell aufrecht erhielt, obschon er erklärte auf seine Derur- theilung „stolz" zu sein. Auch von der erwarteten Wirksamkeit des Prinzen Napoleon im liberalen Sinne ist bisher wenig zu merken gewesen, außer daß er im November zum größten Aerger des „Univers" die Aufnahme von Israeliten in die Generalräthe Algerien's durchsetzte und den brutalen Beutllot, den bekannten Redac- teur des ultramontanen Blattes, durch seine Fürsprache vor den gerichtlichen Verfolgungen schützte, welche die Behörden wegen seiner Schimpfereien über diese Maßregel gegen denselben einleiten wollten. Wir mochten die Erzählung der Consequenzen des Attentates nicht unterbrechen, da dieselben nur in ihrem Zusammenhänge gehörig gewürdigt werden konnten. Jetzt aber müssen wir in das Frühjahr und zur Türket zurückkehren, auf welche die Folgen ihrer Aufnahme in das Concert der Mächte hageldick zu regnen begannen. Es nahte der Zeitpunkt, wo die Pariser Eonferenz zum dritten Male sich versammeln sollte, um das durch den Märzvertrag in Aussicht gestellte Reorgantsationswerk der Donaufürstenthümer zum Abschluß zu bringen. Natürlich suchte Graf Walewskt daher gerade jetzt noch eifriger als gewöhnlich nach „europäischen Fragen", um den Stoff für weitere Wie- deretnberufungen des Areopages an der Seine nicht ausgehen zu lassen. Wo aber hätte er diesen besser finden können, als im osmanischen Reiche ? Die Rajah in ganz Bosnien und der Herzegowina im offenen Aufstande; Serbien und die Moldowalachet durch politische Parteiagitation bis in's Innerste aufgewühlt; mit Montenegro blutiger Kampf um die Ebene von Grahowo und um das von Danilo's liebenswürdigen Landsleuten beanspruchte Privilegium, ihre türkischen Nachbarn dann und wann ausplündern, ihnen zur Abwechslung auch einmal die Köpfe abschneiden zu dürfen; gleich darauf zu Dfcheddah in Arabien britisch- französischer Uebermuth in hartem Streite mit muselmännischem Fanatismus der bestialischesten Art; endlich die kretensischen Bauern, durch die Vorgänge rings um sich aufgestachelt, ebenfalls in Waffen gegen ihre sogenannten „Bedränger". Welche Ausbeute! Das Tuilerienkabinet brauchte nur zuzugreifen und das Feuer hie und da noch ein klein wenig zu schüren, um europäische Fragen in Hülle und Fülle zu haben. Leider aber stieß es bei Oesterreich und England auf den entschiedensten Widerspruch und bei den übrigen Mächten auf keine Unterstützung, als es die Ausführung des Hat- humayum und die montenegrinische Differenz vor das Forum der Conferenzen rufen wollte. Es stellte sich ziemlich frühzeitig heraus, daß die Conferenzen sich ganz positiv auf die ihnen durch den Friedensvertrag vorgeschriebenen Gegenstände, d. h, auf die Fürstentümer und die Donauschiffahrt zu beschränken haben würden. Graf Walewskt mußte daher eilig zugreifen, wenn ihm nicht am Ende alle jene, für die Einmtschungslust des Imperialismus so leckeren Bissen entgehen sollten: und so beschloß er denn zunächst, durch einen Handstreich und ein fait accompli wenigstens die, für eine Intervention am meisten herangereifte montenegrinische Angelegenheit „zum Range einer europäischen Frage zu erheben", wie der technische Ausdruck der französischen Depeschen für eine derartige Manipulation zu lauten pflegt. Der Kampf zwischen den Türken und den Montenegrinern sin der Ebene von Grahowo wü- thete fort und fort, blutiger als je: da liefen plötzlich aus Toulon zwei französische Linienschiffe unter Admiral Jurien de la ©miére aus und warfen in dem Hafen von Gravosa Anker, von wo aus der Commandant den Befehlshabern der ottomanischen Truppen erklärte, Frankreich werde eine Fortsetzung des Angriffes auf die Czernagorzen als einen Kriegsfall betrachten. Für die Generale der Pforte war dies um so demüthigender, als sie dies Dekret in eben dem Momente empfingen, wo sie eine furchtbare, noch dazu durch Berrath ihnen zugefügte Niederlage zu rächen hatten. Am 11. und 12. Mai nämlich hatten heftige Gefechte um das Dorf Grahowo stattgefunden, in denen die Türken siegreich waren: am 13. aber wußte de la Rue, der Sekretär Danilo's und geborner Franzose, den gegnerischen Chef- commandanten Hussein Ferik Pascha zum Eingehen eines Waffenstillstandes zu überreden, während dessen Mirko, der Bruder des Fürsten, die nichts ahnenden und, um einige Positionen zu wechseln, tn ungeordneten Kolonnen einherziehenden Feinde überfiel und dermaßen aufrieb, daß 1 Hussein erst unter den Mauern von Trebinje Halt machen