Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

Geschichte des Jahres. 151 Endlich bot die Anwesenheit des Admirals Riganlt de Genouilly die beste Gelegenheit, um die längst verab­redete Expedition gegen Cochinchina ins Werk zu setzen, wo Frankreich und Spanien die grausame Hinrichtung mehrerer französischer und spanischer Missionäre zu rächen hatten. Rigault's Geschwader nahm daher auf Manilla, der größten der philippi­nischen Inseln, spanische Hilfstruppen an Bord und landete am 1. September 1858 in der Bai von Turo, nachdem die Breitseiten der Kriegsschiffe die den Ein­gang der Bucht beschützenden Forts zusammengeschos- fen. Hier bezogen die Verbündeten ein befestigtes La­ger, in dem sie nach den letzten Meldungen den An­griff der cochinchinesischen Truppen, oder Verstärkun­gen von Hause abwarten, um den Marsch auf die anamitische Hauptstadt Hue antreten zu können: ihre bisherigen Heldenthaten haben ihnen keinen Tropfen Blut gekostet. Ob Kaiser Napoleon in diesen Regio­nen bleibende Eroberungen zu machen denkt, ist zwei­felhaft. Die an Spanien ergangene Aufforderung zur Mitwirkung scheint dem zu widersprechen: anderer­seits jedoch haben officiöse Pariser Blätter sich viel­fach in gelehrte Unkosten versetzt, um aus alten ver­gilbten Pergamenten nachzuweisen, daß Frankreich auf den Besitz der Halbinsel Turo vertragsmäßige Ansprüche habe. Jedenfalls wäre neuer Kolonialer­werb für ein Volk, das binnen drei Decennien mit Algerien so gar nichts anzufangen gewußt, ein unge­heurer Luxus, aus dem die Civilisation schwerlich be­sondere Vortheile ziehen würde. In Europa drohte gleich nach Neujahr das A t- tentat Orsini's das gesammte politische Staa- tensyftem bis in seine tiefsten Grundvesten zu erschüt­tern. Am Abend des 14. Jänner wurde der Wagen, in dem das Kaiserpaar saß, bei der Anfahrt vor das Pariser Opernhaus mit Handgranaten attaquirt, de­ren Wirkung so furchtbar war, daß die Explosion über hundert Personen verwundete und sieben auf der Stelle tödtete. Napoleon selber ritzte ein Splitter von einem zerschmetterten Kutschenfenster leichtim Ge­sichte ; seine Gemahlin kam mit dem bloßen Schrecken davon; der begleitende Adjutant, General Roquet, dagegen, der sich auf dem Rücksitze der Carosse befand, erhielt im Nacken eine Wunde, die starken Blutverlust verursachte. Zum Theil noch in derselben Nacht, zum Theil am folgenden Tage wurden die politischen Flüchtlinge Felix Orsini, Franz v. Rudio, Pierri und Gomez verhaftet: am 13. März büßten Orsini und Pierri ihr Verbrechen auf dem Schaffotte; Gomez ward von den Affisen zu lebenslänglicher Zwangsar­beit verurtheilt, Rudio, unter Nachsicht der über ihn verhängten Todesstrafe, zu demselben Schicksale durch den Kaiser begnadigt. Volle vier Tage lang lag der Schrecken dumpfer Erwartung über der französischen Hauptstadt und dem ganzen Laude: erst am 18. Jän­ner trat die Regierung mit den von ihr beabsichtigten Maßregeln hervor, deren kurzgefaßtes Programm Louis Napoleon selber bei Gelegenheit der Eröffnung des gesetzgebenden Körpers in seiner Thronrede ent­wickelte. Das Kaiserthum, sagte er, sei keine Regie­rung des Rückschrittes: Freiheit ohne Einschränkun­gen zu gewähren, sei jedoch unmöglich, so lange im Inneren Parteien die Grundlagen und die Existenz der bestehenden Dynastie anzufechten fortführen. Diese Bestrebungen müßten zu Boden geschlagen, na­mentlich müsse sofort dem Skandal ein Ende gemacht werden, daß — wie es eben wieder bei den Neuwah­len zu diesem Corps Lögislatif von Seiten meh­rerer Republikaner geschehen war — Kandidaten zu den Deputirtenftellen aufträten, nur um, wenn der Erfolg ihrer Bewerbung günstig sei, das Mandat un­ter lautem Proteste gegen den Eid auf die Verfaffung abzulehnen. Uebrigens bewiesen diejenigen Fraktio­nen, die zum Morde ihre Zuflucht nähmen, dadurch nur ihre eigene Schwäche und könnten die öffentliche Sicherheit nicht stören. So lange der Kaiser lebe, lebe das Kaiserthum; wenn er falle, werde die Ent­rüstung des Volkes und der Armee dem Throne sei­nes Sohnes nur zur neuen Stütze werden. Nun folg­ten Repressivdekrete Schlag auf Schlag. Noch am 18. Jänner wurde die legitimistische „Revue de Pa­ris" und Guizot's fusionistisches Organ „der Spec- tateur" unterdrückt: so groß war das allgemeine Entsetzen, daß selbst so streng konservative Journale wie die „Debats", welche von den officiösen Federn ganz offen der „moralischen Mitschuld" an Orsini's Verbrechen geziehen wurden, und die „Revue des deur Mondes" sich geraume Zeit hindurch ernstlich mit dem Gedanken an eine Uebersiedlung nach Genf oder London trugen. Am 27. Jänner erschien ein kaiserlicher Erlaß, welcher das ganze Reich in fünf Militärkommando's theilte, deren Oberbefehlshaber bei dem Ausbruche innerer Unruhen nach eigenem Ermessen handeln soll­ten. Die Besetzung dieser fünf Stellen ging am 13. Februar in der Weise vor sich, daß die Marschälle Magnan die Nord-, Canrobert die Ost-, Castellane die Südost-, Bosquet die Südwest- und Baraguay d'Hilliers die Westdivisionen mit ihren respektiven Hauptquartieren zu Paris, Nancy, Lyon, Toulouse und Tours erhielten. Am 1. Februar meldete eine kaiserliche Botschaft dem Senate und dem gesetzgeben­den Körper, daß die Ordnung der Regentschastsfrage in folgender Weise vor sich gegangen sei: Im Falle der kaiserliche Prinz zur Thronfolge gelangt, ehe er großjährig ist, ist die Kaiserin zur Regentin ernannt; unter dem Präsidium des Kaisers wird sofort ein gehei­mer Rath eingesetzt — er besteht aus den vornehm­sten Würdenträgern des Reiches, Cardinal Morlot, Troplong, Fould, Baroche, Morny, Persigny und dem Herzog von Malakoff als dem einzigen Militär — wel­cher , unter Zuziehung der beiden nach der Thron­folgeordnung nächsten französischen Prinzen, Jerome und dessen Sohn, bei dem Ableben des Kaisers als Regentschastörath zu fungiren hat, falls das Staats-

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