Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

152 Geschichte des Jahres. überhaupt bis dahin nicht durch öffentlichen Akt anders verfügt hat. An dem nämlichen Tage überreichte Ba­rsche als Staatsrathspräsident dem Corps Lsgisla- tif den Entwurf eines Sicherheitsgesetzes. Dasselbe ermächtigt die Verwaltungsbehörden, alle diejenigen Personen, welche wegen Aufreizung zum Hasse gegen die Regierung, wegen noch so entfernter Theilnahme an Aufstandsversuchen, wegen Unterhaltung staats­gefährlicher Verbindungen im In- oder Auslande verurtheilt worden oder nach Einem der revolutionä­ren Ereignisse der Jahre-1848 und 1849 , sowie in Folge des Staatsstreiches von 1851 Gegenstand ge­richtlicher Proceduren oder außergerichtlicher Verfol­gungen gewesen sind, nach Belieben in Frankreich oder in Algier zu interniren, des Landes zu verwei­sen und im Falle unerlaubter Rückkehr nach Cayenne zu dcportiren. Am 19. votirte die Kammer die Vor­lage mit 227 gegen 24 Stimmen: die Opposition setzte keine einzige Milderung durch, sondern nur eine Beschränkung der Giltigkeit auf sieben Jahre. Der eiserne Arm zur rücksichtslosen Anwendung des neuen Gesetzes war mittlerweile bereits gesunden: am 5. hatte Billault seine Entlassung eingereicht und zwei Tage später war der Divisionsgeneral d'Espinasse — bekannt durch die Besetzung des Palais Bourbon, wo damals die Nationalversammlung tagte, in der Nacht des 2. Dezember und durch seinen völlig ver­unglückten Feldzug nach der Dobrudscha int Sommer des Jahres 1854 — in das Ministerium des In­nern eingezogen. Einführung maßloser Paßquäle­reien, vor allen Dingen aber massenweise Verhaftun­gen, deren Opfer „verschwanden", um später in Lam- bessa, Oran und anderen Orten Algeriens wieder aufzutauchen, wenn sie nicht gar nach Guyana beför­dert wurden — Verhaftungen, die so geheim betrie­ben wurden, daß es wohl erst der Nachwelt möglich sein wird, ihren wahren Umfang zu überblicken: in diesen Worten läßt sich die Geschichte von d'Espinas- ses kurzer Verwaltung resumiren. Am 17. ordnete ein Senatsbeschluß an, daß jeder Candidat um eine Deputirtenstelle den Eid auf die Verfassung v o r der Wahl abzulegen habe, widrigenfalls alle mit seinem Namen beschriebenen Stimmzettel ohne weiteres als ungütig zu kassiren seien. Was wollte es, diesem Auftreten gegenüber, bedeuten, wenn der „Moniteur" vom 1. März anzeigte, daß den Generälen Bedeau und Changarnier die Erlaubniß zur Rückkehr in ihr Vaterland ertheilt sei? zumal da die Betreffenden von dieser Concession eben so wenig Gebrauch mach­ten, wie von den früheren gleichlautenden Gnaden­akten des Kaisers; und da überdies ein alberner Putsch, den einige Republikaner am 9. März in Cha- lons-sur-Saöne versuchten, die Lage noch mehr ver­schlimmerte ! Da der gesetzgebende Körper einmal im Zuge war, brachte die Regierung auch gleich den längst vorbereiteten Gesetzentwurf ein, welcher das unbefugte öffentliche Tragen einer Uniform oder De­coration, sowie die unberechtigte Beilegung eines Adelstitels mit Geld- und Gefängnißstrafen bedrohte. Die Session ward ausdrücklich verlängert, um der Kammer zur Prüfung und Votirung dirser Vorlage, die als der erste Schritt zur Begründung eines neu- kaiserlichen Erbadels der Gleichheitsliebe., und als Stein des Anstoßes für alle mit einem „de" oder mit einem „vicomte" vor ihrem Namen .sich brü­stenden Gecken der Eitelkeit der „großen Nation" in's Gesicht schlug, die nöthige Zeit zu geben. Die An­nahme erfolgte am 8. Mai mit 221 gegen 23 Stim­men : unmittelbar nach dem Skrutinium ward das Corps Legislatif vertagt nach einer so thatenreichen Sitzungsperiode, wie sie — um uns eines Montalem- bert'schen Wortes zu bedienen — dieser „Versamm­lung von Stummen" bisher noch nicht zu Theil ge­worden war. Ungleich folgenreicher, als die rein internen Um­wälzungen der französischen Politik, welche das At­tentat nach sich zog , waren die ä u ß e r e n Ver­wicklungen, die sich aus Anlaß desselben zwischen Frankreich und seinen Nachbarstaaten ergaben. B e l- g i e n hatte der Imperialismus ohnedies schon wie­der eine Weile sein mürrischestes Gesicht zugewandt. Von dem Tage des Staatsstreiches ab lief das napo- leonische System augenscheinlich darauf hinaus, dies kleine Ländchen nicht zur Ruhe kommen zu lassen, um zu gelegener Zeit stets ein Thor offen zu finden, durch das er seine mehr oder minder direkte, bewaffnete oder friedliche Intervention geltend machen könne. Durch versteckte Jnvasions-, durch offene Drohungen mit einer Revision des französischen Zolltarifes in einem, den belgischen Interessen ungünstigen Sinne hatte das Tuilerienkabinet sich eine unablässige Beeinflus­sung der belgischen Regierung zu sichern gewußt und diese Preffion über ein Lustrum in einer Weise aus­gebeutet, wodurch zuletzt die in Paris so mißliebigen freisinnigen Institutionen des konstitutionellen Staa­tes ernstlich gefährdet waren. Die von der Seine her, man möchte beinahe sagen geleiteten Wahlen hatten in der Deputirtenkammer nach und nach den Ultra­montanen eine Majorität verschafft, die eher alles an­dere als die Repräsentantin des Volkswillens war. Eine auf die Dauer so unhaltbare Situation mußte über lang oder kurz eine Krisis Hervorrufen: und fiel diese in eine passende Zeit, so konnte der Imperialis­mus leicht hoffen, sie zum Behufe seiner ehrgeizigen Pläne ausbeuten zu dürfen. Im Mai 1857 war die mühsam großgezogene Situation reif geworden: die Kammer votirte ein von dem Ministerium Dedecker eingebrachtes Wohlthätigkeitsgesetz, welches die Ver­waltung der Hospitiengüter in die Hände des Klerus legte — während in allen größeren Städten des Lan­des Tummulte ausbrachen, um die Sanctionirung der Maßregel zu hintertreiben. Anwendung von Gewalt­maßregeln, zu denen die officiösen Pariser Blätter im Interesse des Conservatismus den König dringend *

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