Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

144 Geschichte des Jahres. reich und in zweiter Linie ebenfalls Frankreich : allein der eigentliche Sitz der Krisis blieben immer England und Hamburg, an welchem letzteren Orte der finan- cielle Wirrwarr einen noch nie dagewesenen Umfang erreichte. Am 19. October hatte die britische Bank ihren Zinsfuß bereits auf die kolossale Höhe von acht pCt. hinaufgeschraubt, um der Bestürmung mit Dis- contirungsgesuchen einen Riegel vorzuschieben. Bald nachher mußte sie sich von der Regierung ermächtigen lassen, mehr Noten auszugeben, als ihr Baarfonds mit Rücksicht auf Peel's bekannte Akte gestattete, weil trotz des enormen Zinsfußes eine Einhaltung der letzteren nur unter Escompterestrictionen, die den englischen Handel völlig hätten in's Verderben stür­zen müssen, möglich gewesen wäre. Das Parlament mußte eigens zu einer kurzen Session einberufen werden, um dem Ministerium für diese eigenmächtige Suspension der Peelsakte eine Jdemnitätsbill zu be­willigen, die es denn auch am 11. December unbe­denklich votirte. Am 12. vertagte sich das Unterhaus bis zum 4. Februar, nachdem es vorher auch den An­trag des Schatzkanzlers auf Einsetzung eines Aus­schusses zur Prüfung der Peel'schen Bankakte ge­nehmigt. England selber hatte damit das Schlimmste überstanden; allein auf dem Festlande, insbesondere in Hamburg wüthete die Krisis immer noch in solcher Weise fort, daß die „Times" schreiben konnte!: „die Listen von Bankerotten die wir tagtäglich er­halten, sind so lang und so unterschiedlos, daß ihre Veröffentlichung ganz übersiüssig erscheint." Wäh­rend der ersten Hälfte des November bot die Hanse­stadt das Bild einer belagerten und geplünderten Festung; Börse, Handelskammer, Senat und Bürger­schaft überboten einander in Anträgen, wie sie eben nur eine derartige Panik erzeugen kann. Von allen Seiten ward flehentlich die Hilfe des Staates in An­spruch genommen — und ähnliche Scenen, beiläufig bemerkt, wiederholten sich in Bremen, Lübeck und Berlin; ja, in Lübeck gingen Schrecken und Rathlo- sigkeit sogar noch weiter, als in Hamburg, wenn schon die daraus entspringende Konfusion, der klei­neren Dimensionen des Schauplatzes wegen, eine ge­ringere war. Am Hamburger Platze dagegen nahm die Verwirrung die großartigsten Verhältnisse an. Ein am 23. November gestifteter Garantie-Dis- conto-Verein mußte fünf Tage später seine Geschäfte einstellen. Als am 28. Karl Heine an der Börse den gefährdeten Firmen unter die Arme greifen zu wollen erklärte, hatte er in Zeit von Einer Stunde für Eine Million Mark Banco zu discontirende Wechsel in Händen. Eine Waarenvorschußkasse, bei der die Be­lehnung durch Kammermandate, d. h. durch die Aus­stellung von Solawechseln auf die Hamburger Stadt­kasse geschah, war die erste, am 27. November er­griffene Maßregel, welche den Beistand der Gemeinde indirekt in Anspruch nahm: von der, am 2. December erfolgten Anordnung eines milderen Administrations­verfahrens machten binnen Einer Woche 65 in Con- curs gerathene Firmen, noch nicht die Hälfte der ge- sammten Bankbrüchigen, mit Erlaubniß ihrer Gläu­biger Gebrauch. Aber Alles das vermochte den äußer­sten Schritt der Verzweiflung nur aufzuhalten, nicht abzuwehren: am 6. December ward die Gründung einer Diskontokasse mit einem Kapitale von 15 Mill. Mk. Bk. beschlossen, um nothleidende Wechsel auf Staatskosten einzulösen. Für 5 Mill. verpfändete der Staat auf der Stelle ihm ge­hörige Aktien und sonstige Effekten: die übrigen zwei Drittel sollten im Wege einer Anleihe aufgebracht werden. Nachdem der Senat in Berlin eine abschlä- j gige Antwort bekommen — gegen deren Inhalt sich freilich nichts sagen läßt, da Herr von der Heydt füglich nicht den Hamburgern gewähren durfte, was er, und zwar mit vollem Rechte der Kaufmann­schaft der preußischen Hauptstadt rundweg abgeschla­gen ; deren Mittheilung aber Herr v. Manteuffel mit ; sehr unzeitigen und deshals von den Petenten sehr übel aufgenommenen und sehr scharf zurückgewiesenen Mahnungen und Vorwürfen, begleitete — wandte jene Körperschaft sich an Oesterreich. Herr v. Bruck entschloß sich ohne Besinnen, die Nationalbank zu : einem mit 6 pCt. verzinslichen und bis Ende 1858 rückzahlbaren Darlehen von 10 Mill. Mk. B. zu ermächtigen : ein eben so populärer als wirthschastlich kluger Gedanke, da das für die Wiederaufnahme der « Baarzahlungen angehäufte Silber sonst bis Neujahr ; 1859 in den Kellern der Bank gelegen hätte, ohne Interessen zu tragen. Die Silbersendung, die sofort in einem Extrazuge aus Wien nach Hamburg abging und deren Heimschickung bereits um Johanni er­folgte, war für den norddeutschen Handelsplatz Hilfe in der zwölften Stunde: denn vor ihrem Eintreffen hatte sich bereits gezeigt, daß trotz aller bisherigen Vorkehrungen ohne Beistand von außerhalb nicht einmal die ersten Eckhäuser, deren Sturz Alles mit sich reißen mußte, wie Merck, Godefroy, Bauer, Don­ner, Behrenberg, Goßler, vor dem Ruine zu be­wahren seien. Im Einvernehmen mit Karl Heine wirkte daher der Senat darauf hin, die Bürgerschaft zur Einwilligung darin zu bewegen, daß die ange­kommenen 10 Mill. nicht in die Discontocasse ge­zahlt, sondern von einer eigens zu instituirenden Vertrauenscommission zur Soulagirung der besagten Firmen verwendet werden sollten. Nach furchtbar hef­tigen Debatten, in denen die maßlose Ungerechtigkeit des Antrages hervorgehoben und von allen Seiten beleuchtet ward, wurde derselbe am 12. December nichts desto weniger von den Kirchspielversammlungen angenommen, unter mancherlei rhetorischen Anspie­lungen auf den Brand von 1842, wo man ja auch Häuser in die Luft gesprengt habe, um dem Feuer die Nahrung zu entziehen, sowie auf das gleichzeitige Aufstiegen des Mainzer Pulverthurmes, welches deutlich lehre, wie man vor allen Dingen in^Stun­

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