Pester Lloyd-Kalender 1859 (Pest)

Pester Lloyd-Kalender für das Jahr 1859 - Geschichte des Jahres

' Geschichte des Jahres. 145 den der allgemeinen Gefahr zuerst diejenigen Punkte sichern muffe, deren Beschädigung den unvermeidli­chen Untergang des Gemeinwesens nach sich ziehen würde. So wurden denn wirklich die bewußten 10 Mill. einer aus Senatoren und Mitgliedern ver Bür­gerschaft zusammengesetzten Vertrauenscommission überwiesen, um damit solche Firmen zu erleichtern, die sich in momentaner Verlegenheit befänden und deren Fall das Wohl des Ganzen zumeist bedrohen müßte. Zugleich wurde indeß der Senat autorisirt, zur Aus­stattung der Discontocasse weitere fünf Mill. Mk. Bk. auszuleihen, welche ebenfalls von der österreichi­schen Nationalbank vorgeschossen worden sein sollen und wahrscheinlich in der, im Mai 1857 remittirten Silbersendung mit inbegriffen waren. Hiemit war der Wendepunkt der Krisis zum Bessern eingetreten, wo­bei der Hauptantheil jedenfalls dem m o r alisch en Eindrücke der von Oesterreich gewährten Unterstützung zugeschrieben werden muß. Das Vertrauen faßte wieder Boden und der Verkehr fing an, wenngleich langsam und allmälig, aufs neue seine gewohnten Funktionen zu verrichten. Die eigentliche Katastrophe war vorüber, obschon ihre Nachwirkungen auch heute, im December 1858, nicht nur auf dem Hamburger Handel, sondern sogar auf dem Geschästsleben der gesammten alten und neuen Welt lasten. Ein Glück, und zwar kein kleines Glück, war es für England, daß als die Schrecken der Krisis über Amerika und Europa hereinbrachen, der erste Anprall des indischen Aufstandes bereits überwunden und die Nachricht davon in Großbritannien schon be­kannt war. Im letzten Drittel des October langte die Kunde an, daß General Wilson am 14. Sep­tember den Sturm auf Delhi gewagt und ihn nach achttägigem Straßenkampfe, in dem General Nichol­son das Leben eingebüßt, zu glücklichem Ende geführt, auch den König von Delhi sammt seiner Gemahlin eingefangen habe. Nur Eines war mißlungen: die Besatzung war entwischt und verbreitete sich haufen­weise über Centralindien und die kaum pacificirten nordwestlichen Provinzen; vornehmlich aber strömte sie dem empörten Königreiche Audh und dessen Capi- tale Lucknow am Gumteestusse zu. Jene Guerillas zu Paaren zu treiben und sodann nach Lucknow vorzudringen, wo eine kleine britische Besat­zung in der Residenz immer noch, und seit dem Verluste des Anfangs dort kommandirenden Sir Henry Lawrence sehnsüchtiger denn je mit Weib und Kind des Entsatzes harrte, mit Schrecken der Mög­lichkeit gedenkend, daß hier das Gemetzel von Cawn- pur sich wiederholen könne: das waren die beiden Hauptaufgaben welche den Briten noch zu lösen blieben. Tie Verfolgung der Flüchtlinge übernahm in erster Linie Oberst Greathead, der die flüchtige Garnison Telhi's südwärts jagte, sie am 27. Sep­tember bei Bolund-Schuhur schlug, zwei Tage später das Fort von Malaghur in die Lust sprengte, am 5. October Fort Allyghur nahm und am 10. dem Feinde bei Agra eine Niederlage beibrachte, die demselben 2000 Mann und alle Geschütze kostete. Gleichzeitig mit diesen Siegen hatte Havelock, der immer auf ei­gene Faust zwischen Cawnpur und Bitthur, der Feste Nena Sahib's operirt hatte und nie in die Operationslinie vor Delhi eingetreten war, den er­sten glücklichen Versuch zemacht, weiter westwärts den in der Residenz von Lucknow eingeschlossenen Engländern zu Hilfe zu kommen. Vom 25. bis 30. September hatte er, von Sir James Outram beglei­tet, hartnäckige Kämpfe vor der Festung von Lucknow bestanden, die ihm 500 Mann unfähig machten und in denen General Neill fiel. Zwischen Havelock und der Residenz lag die weitläuftige Stadt mit ihren wirbe­ligen engen Gassen, in denen 50,000 bewaffnete Ouden- ser, der kriegerischste Stamm Indiens, umherschwärm­ten. An einen wirklichen Entsatz seiner hart bedräng­ten Landsleute konnte der General daher nicht den­ken : immerhin jedoch gelang es ihm, da er einen großen Theil der Stadt nahm und viele, Behufs der Belagerung der Residenz aufgeführte Verschanzungen des Feindes eroberte, der Garnison insoweit Lust zu schaffen, daß mehrere Transporte von Ochsen und Lebensmitteln ihren Weg zu derselben fanden. Ha­velock und Outram faßten dann hart bei Lucknow in dem alten königlichen Lustschloffe von Allumbagh Posto. Am 27. October endlich verließ der neue Oberbefehlshaber der britischen Truppen in Ostin­dien, der aus der Krimm her bekannte General Sir Colin Campbell, später zum Lord Clyde er­hoben, der Nachfolger des am 27. Mai auf der Route nach Delhi verstorbenen Anson, mit seinem Stabe Calcutta; traf, nachdem er unterwegs mit Mühe der Gefangennehmung durch eine herum­schweifende Reiterbande entgangen war, am 9. No­vember in Cawnpur ein, in dessen Nähe bei dem Dorfe Kudschwa Oberst Powell am 1. desselben Mo­nats die Meuterer nochmals in die Pfanne gehauen, dabei aber selbst das Leben verloren hatte; und brach, nachdem er verschiedene Truppentheile und die frisch aus Europa angekommenen Verstärkungen an sich gezogen, am 12. gegen Allumbagh auf. Hier einigte er sich mit Havelock und Outram über den Angriffs­plan und setzte am 14. seinen Marsch auf Lucknow fort. Am 15. nahm Sir Colin nach zweistündigem heißem Kampfe die stark befestigten Gebäude Delko- sah und Lamartiniäre; darauf rückte er gegen Se- cunderbagh vor, das ebenfalls erst nach hartnäckigem Gefechte erstürmt ward, wobei der Feind 2000 Mann einbüßte. Mit gleicher Entschlossenheit vertheidigten die Rebellen am 16. die Verschanzungen der Moschee Schah Rudschiff, die ebenfalls mit stürmender Hand genommen werden mußte. Erst am 17. konnte, nach heftiger Beschießung und Bestürmung der von den Insurgenten occupirten Punkte Meß-House und Moti-Mahal die Vereinigung der Colonnen Sir

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