Evangélikus Élet, 2010. július-december (75. évfolyam, 27-52. szám)

2010-10-31 / 44. szám

Evangélikus Élet NÉMET OLDAL 2010. október 31. !► 7 Piroschka und Grenzöffnung Welches Bild vermitteln deutsche Medien von Ungarn? ► Am 12. Oktober wurde der Partnerschaftsvertrag zwischen den bayerischen und den ungarischen Lutheranern un­terzeichnet. Enge Verbindungen sind zwischen beiden Kirchen entstanden, durch die viele Bayern und Franken nach Ungarn kamen und Land und Leute kennenlernen konnten. Doch was weiß eigentlich ein Durchschnitts­deutscher über Ungarn? Welches Bild von Ungarn herrscht in deutschen Köpfen vor? Und wie berichten die deutschen Medien - vor allem das Massenmedium Fern­sehen - über Ungarn? Nicht nur die geografische Nähe - und freilich nicht nur die kirchlichen Verbindun­gen sondern auch die Tat­sache, dass Bayern mit keinem anderen internationalen Part­ner so intensive Kontakte im wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben pflegt wie mit Ungarn, rücken beide Länder so eng zusammen, dass das engmaschige Berüh­rungsgeflecht auch das pu­blizistische Interesse anregt. Es gab eine Zeit, in der die deutschen Medien nur mittels Gemeinplätzen über Ungarn berichteten. Gulaschkommu­nismus, Puszta, Paprika, Sala­mi und Plattensee waren die Schlagworte, ohne die eine Reportage über Ungarn nicht auskam. Dies ist heute weitgehend passé, mit der Ausnahme der Fiktion: Nach wie vor erfreu­en sich die Wiederholungen des klischeegeladenen Film­klassikers „Ich denke oft an Pi­roschka“ aus dem Jahr 1955 mit Lieselotte Pulver großer Beliebtheit. Im vergangenen Jahr jähr­­te sich der Mauerfall zum zwanzigsten Mal. Am 10. September 1989 öffnete Un­garn die Grenze und ermög­lichte Tausenden von DDR­­Bürgern die Flucht. Die Dankbarkeit dafür, dass Un­garn damit den entscheiden­den Stein aus der Berliner Mauer gebrochen hatte, klingt mit den Worten des damaligen Bundesaußenmi­nisters Hans-Dietrich Gen­scher so: „Ungarn zeigte große Standfestigkeit und be­wundernswerten Mut, wo­durch das Land in jenen Wo­chen geradezu zu einem Leuchtfeuer der Menschlich­keit wurde. Das kleine tapfe­re Volk der Ungarn hatte das Glück, dass in der histori­schen Zeit des Umbruchs in allen politischen Lagern Menschen von Format das Schicksal des Landes be­stimmten." In dieser Zeit hatten die Ungarn die höchsten Sympa­thiewerte bei den deutschen Medien genossen. Dieser Bo­nus dauert bis in die Gegen­wart an und wirkt in anderen Feldern fort. Die wirtschaftlichen Bezie­hungen zwischen Bayern und Ungarn werden in den deut­schen Medien ausführlich und prominent platziert. Neben unzähligen mittelständischen Unternehmen ließen sich auch Audi, E.ON, Siemens und die Allianz - und damit Namen von Klang - in Ungarn nieder, die zu einer intensiven Be­richterstattung einladen. „Good news“ also, die auch weiter wirken. Wo es gute Nachrichten gibt, da sind die schlechten nicht fern: Schnell kamen die deutschen Medien auf das Thema EU-Erweiterung, das aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation als Problem angesehen wird. Nicht nur die Chancen, son­dern auch die wachsende Konkurrenz durch die Märk­te in Polen, Tschechien und Ungarn geriet ins Blickfeld der Medien. Dies führte zu einer einsei­tigen politischen Diskussion, in der Manager, die Unterneh­mensteile ins Ausland aus­gliedern, recht zügig als vater­landslose Gesellen bezeich­net werden, die die Deut­schen um ihre Arbeitsplätze brächten. Positive Aspekte von Investitionen im Ausland finden in den Medien hinge­gen kaum statt. Ungarische Beobachter der deutschen Mediengesell­­schaft kritisieren unterdessen, dass in der Berichterstattung über ihr Land ein zu hohes Gewicht auf Politik und Wirt­schaft gelegt würde. So wur­den in Fachkreisen Vorwür­fe laut, dass die Sensation das Maß aller Dinge sei und der Lebensalltag und die Nor­malität der ungarischen Be­völkerung zu kurz käme. Zu­dem würden extreme Grup­pierungen mit zu großer Auf­merksamkeit bedacht. Dies ist jedoch kein typisch unga­risches Phänomen, sondern das Schicksal von Aus­landsthemen jenseits aktu­eller Ereignisse. Nicht vergessen werden darf, dass neben anderen spektakulären Themen des Äußeren besonders die deut­sche Innenpolitik einen großen Raum in der Bericht­erstattung einnimmt. Die Ökonomie und das Soziale, der Verlust von Arbeitsplät­zen, Probleme der Alters- und Gesundheitsvorsorge, Unter­nehmenspleiten sowie die Verschuldung des Staates und privater Haushalte in Deutschland sind naturge­mäß für die deutschen Zu­schauer von herausragendem und persönlichen Interesse und daher dominierende The­men. Daher muss im Aus­land schon etwas mehr als die in der Heimat ohnehin präsenten Themen passieren - ein Ministerwechsel reicht da oft nicht -, ehe ein Aus­landsthema in die deutschen Nachrichten gerät. Auch ist bei der Berichterstattung über das ARD-Auslandsstudio Wi­en eine Konkurrenz zwischen den Themen der einzelnen Länder Südosteuropas fest­zustellen. Ungarn hat im deutschen Fernsehen als massenwirk­sames Thema überwiegend im öffentlich-rechtlichen Sy­stem eine Chance, wo Infor­mation noch als Gut und nicht - wie bei den auf Quo­tenmaximierung in der jun­gen Zielgruppe gerichteten privaten Medien - als Ware betrachtet wird. In Forma­ten wie dem „Auslandsjour­nal“ und dem „Weltspiegel" etwa wird Ungarn regelmäßig und mit hintergründigen Be­richten thematisiert. Hier kann manches gesendet wer­den, was schon deshalb aus dem Zeitspektrum der Nach­richtensendungen fällt, da vielfach aktuelle Themen aus Ungarn dem deutschen Fern­sehzuschauer in ihren Hinter­gründen erklärt werden müs­sten und deutlich mehr Sen­desekunden beanspruchen würden. Seit 1989 sendete die ARD weit mehr als 1.000 Fernseh­beiträge über Ungarn. Den Großteil machen Nachrich­tenbeiträge von weniger als zwei Minuten Länge aus. Herausragende Themen wa­ren etwa Gyurcsánys Rede von Balatonöszöd, die Aus­schreitungen vom Herbst 2006 und der 50. Jahrestag des Volksaufstandes sowie - ganz aktuell - die Tragödie in der Aluminiumfabrik bei Aj­ka, aber auch die bayerisch­ungarischen Wirtschaftsbe­ziehungen, Ungarn als Billig­lohnland, der Tourismus, die k.u.k.-Monarchie, Kulturelles, die deutschen Minderheiten sowie Kriminalität und Anti­semitismus. Im kritischen Spiegel der Medien tritt Ungarn mitunter durch seme Probleme als post­sowjetische Gesellschaft, durch die Unversöhnlichkeit des linken und rechten politi­schen Lagers und durch die unzureichende Aufarbeitung des Kommunismus auf. ■ Holger Manke Auf deutschen Spuren in Harta Am 1. November gehen wir auf den Friedhof, um unserer Toten zu gedenken - ein katholi­scher Brauch, der auch bei den Protestanten heimisch wurde. Man zündet Kerzen an, legt Blumen auf die Gräber der Ahnen und betet. Kurz vor Allerheiligen möchten wir dem un­garndeutschen Friedhof in Harta einen Besuch abstatten. Die ehemals rein deutsche Gemein­de liegt an der Donau, im Komitat Bács-Kis­­kun. Hier ist die alte Mundart noch lebendig, und die Friedhofskultur spiegelt die deutsche Mentalität wider. Ein Spaziergang und eine Friedhofsbesichtigung lohnen, denn an den zahlreichen deutschen Gräbern findet man Rei­me und Balladen aus alter Zeit. „Kerchhoof" - so nennt das Volk in seinem Dialekt den am Dorfrand von Harta gelegenen Friedhof. Die Grabdenkmäler mit deutschen Inschriften haben einen sehr hohen sprachli­chen, ethnographischen und traditionalen Wert. Der Hartaer Friedhof ist heute einer der schönsten und gepflegtesten Friedhöfe in der Gegend. Und es ist der einzige Friedhof im Dorf, deren Bevölkerung hauptsächlich evan­gelisch ist. Viele der Grabsteine mit deutscher Inschrift stehen nicht mehr auf ihrem ur­sprünglichen Platz: Die alten, verlassenen Gräber wurden saniert und wiederverkauft. Die Familie ist ausgestorben oder lebt im Ausland. Die Mehrheit der so ungenützten Grabsteine wurde aber nicht entsorgt, sondern als Memen­to aufbewahrt. Der damalige Gemeinderatsvor­sitzende András Nánai hatte in den 1980er Jah­ren diese eigentlich zur Verwitterung verurteil­ten Grabsteine gerettet und sie am Eingang des Friedhofes aufgestellt. So kann der Besucher die alten Kunstwerke immer noch bewundern und die Inschriften lesen. Gemäß dem lutherischen Dorfpfarrer Lász­ló Halasi befinden sich insgesamt etwa 450 Grabsteine und Grabkreuze auf dem Hartaer Friedhof. Ungefähr 150 davon tragen ganz oder zum Teil deutsche Inschriften. Die älte­sten Grabsteine stammen aus der Zeit um 1900, die letzte deutschsprachige Grabinschrift aus den 1990er Jahren. Da ab 1950 die Anzahl der deutschsprachigen Inschriften rasant ab­nimmt, stammen die meisten Grabinschriften aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - al­so aus der Zeit, als sich die Hartaer solche Aus­gaben erlauben konnten. Die Inschriften beinhalten den Namen der Verstorbenen, das Geburts- und Sterbedatum, eine Schlussformel und kurze, religiös moti­vierte Sprüchlein, die Grabgedichte und die Angabe der Personen, die das Grabmal auf­stellen ließen - oder zumindest manche die­ser Elemente in unterschiedlicher Zusammen­setzung. Ein Grabgedicht in Harta lautet so: Hier ruhet in Gott selig entschlafen Georg Egel alt 34 fahre, gest. 19. Nov. 1925. In Ehe gelebt 8 fahre mit Katharina Gillich alt 28 fahre, gest. 20. Sept. 1925. Wir lebten einst so froh mit unsern Kinderlein und mußten von ihnen so früh getrennt sein. Eltern, Geschwistern stehen am Grab und weinen über die verlassenen Kleinen. Sie können noch nicht klagen denn sie fühlen um ihr Elternherz Erst in ihren späteren fahren werden sie den Schmerz erfahren. Dann gehen sie oft an dieses Grab und senden viele Seufzer ab. Mit Thränen feuchten sie den Grund worunter schweigt der treuen Elternmund. Betrübt schauen sie in der Welt umher Sie haben keinen Vater und Mutter mehr. O liebe Eltern wie so schwer daß euch zum Opfer nahm der Herr. Jahren heilen nicht die Schmerzen um der treueren Elternherzen Ihr lieben Kinder haltet stille denn es war ja Gotteswille. Vertrauet nur dem lieben Gott er hilft euch in aller Noth. Liebe Eltern denkt an unseren frühen Tod verlasset die Waisen nicht in keiner Noth. Dieses junge Ehepaar ist bei einem Verkehrs­unfall gestorben. Der Stein und die Inschrift sind eine qualitativ gute Arbeit. Ich stelle fest, dass der Grabvers viele damalige Forme­lausdrücke und Klischees beinhaltet, die in zahlreichen Grabversen der behandelten Epo­­' che erscheinen. Reimpaare wie „Schmerzen - Herzen“, „Gott - Not“ oder „Stille - Wille" sind typische Beispiele für diese Tendenz. Das genannte Grabgedicht weist besonde­re, balladenhafte Züge auf. Der erste Teil kon­zentriert sich auf die Tragödie und vermittelt die Gefühle der jung verstorbenen Eltern. Im zweiten Teil („O liebe Eltern ...") nehmen die Kinder Abschied. Die letzten sechs Zeilen („Ihr lieben Kinder ...“) sind wieder die Wor­te der Verstorbenen, die die Kinder trösten und sie den Großeltern anvertrauen. Die Balladen­form in der Volksdichtung ist auch in den um­liegenden Dörfern nicht unbekannt. So schrieb etwa Miklós Réthey Erikkel über die Volksdich­tung im 20 Kilometer von Harta entfernten Akasztó und schilderte die Gefühle der dort an­sässigen ungarischen Bauernschaft mit zahl­reichen Beispielen. Harta ist ein relativ abgelegener Ort. Viel­leicht ist dieser Lage zu verdanken, dass die al­ten deutschen Grabsteine nach dem Zweiten Weltkrieg nicht auf politischen Druck vernich­tet oder ausgetauscht werden mussten. In den letzten 10 bis 15 Jahren kam jedoch in Mo­de, dass die Familie den alten Grabstein vom alten „Kerchhof“ auf den neuen mitnimmt, die alte Anschrift erneuert und auf die andere Sei­te die Daten der kürzlich verstorbenen Fami­lienmitglieder eingravieren lässt. Dies ge­schieht aus Gründen der Sparsamkeit, da der Granit und die modernen Steinsorten teuer sind. So sind die rund 150 alten Grabinschrif­ten geblieben. Sie wurden zu Zeugen einer an­deren, heute fast völlig verschwundenen Welt. ■ Lajos Káposzta

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