Felix Ermacora: Ergänzungsband 8. Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1920) (1967)

I. Einleitung

Einleitung 19 H. J ä c k 1, als Schriftführer teil. Die Protokolle des Verfassungsunter­ausschusses geben von den Beratungen Ausdruck (S. 268). Sie haben des­halb eine ganz besondere Bedeutung für die Entwicklung des öster­reichischen Bundesverfassungsrechtes, weil in ihnen subtile juristische Beratungen auf einem bewegten politischen Hintergrund zum Ausdruck kommen. In der Hauptsache sind es verfassungs rechtliche Fragen, die dort mit juristischem Scharfsinn behandelt werden, während das politisch Strittige den Parteienverhandlungen überwiesen wurde. Aber nicht nur dies, der Verfassungsunterausschuß gab der heute geltenden österreichischen Bundesverfassung weitgehend jene Fassung, die den Text von allen vorangegangenen Verfassungsentwürfen entfernte und zu etwas Neuem machte. Dazu kommt allerdings noch die Beratung im Verfassungsausschuß, die dem Verfassungsentwurf die letzte Form gab. Der Leser wird in den Texten der Protokolle des Verfassungsunteraus­schusses manche Erklärungen für die Formulierung im geltenden Ver­fassungstext finden können, die ohne die Kenntnis der Protokolle nicht verstanden werden können. Auch die Kommentierung Kelsens im V. Teil des von ihm mit M e r k 1 und Froehlich — beide Herren waren als Beamte der Staatskanzlei an den Beratungen im Verfassungs­unterausschuß ständig oder zeitweise zugegen — bearbeiteten Gesetzes­kommentares, ersetzen die Kenntnis der Protokolle nicht. Die Protokolle lassen eindeutig den Anteil Kelsens an der Erarbeitung der letzten Fassung des Verfassungstextes erkennen: Seine Formulierungen tragen nicht nur die Bestimmungen über die Stellung der Gemeinde Wien und die österreichische Verfassungsgerichtsbarkeit, seine Formulierungen drücken an einigen wichtigen Stellen des Verfassungswerkes die wissen­schaftlichen Vorstellungen H. Kelsens von der Bedeutung der Ver­fassung aus. Besonders bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Anregungen, die zur Formulierung des Prinzips der Gesetzmäßig­keit der Verwaltung geführt haben. Neben H. Kelsen weisen die Protokolle die intensive Mitarbeit der Beamten der Staatskanzlei, Froehlich und Mannlicher aus, die zur Gestaltung des Verfas­sungsentwurfes gleichfalls wesentliches beigetragen haben. Beim Ent­stehen des Verfassungswerkes ist also der Einfluß der Experten nicht zu übersehen. Der Unterausschuß stützte sich bei seiner Arbeit haupt­sächlich auf jenen Verfassungsentwurf, der im Großen und Ganzen den Ergebnissen der Linzer Länderkonferenz entsprach (sogenannter „Linzer- Entwurf“ 38), vor allem die Entwürfe der christlichsozialen und sozial­demokratischen Parteien wurden bei der Abfassung des Entwurfes be­rücksichtigt. 4. Mitte August 1920 gerieten die Verhandlungen des Verfassungs­unterausschusses ins Stocken 39). Es wurde darauf verwiesen, daß die bis­38) Vgl. unten S. 106. 39) Am 29. August 1920 veröffentlichte die Wiener-Zeitung einen Verfas­2*

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