Felix Ermacora: Ergänzungsband 8. Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1920) (1967)
I. Einleitung
Einleitung 17 Stellung des Bundesrates, das Problem der Grund- und Freiheitsrechte und die Grundsätze der Gemeindeverfassung. Die Regierungskrise brachte eine Stockung in der Verfassungsarbeit mit sich. Von christlichsozialer Seite wurde der Gedanke in die Debatte geworfen, ob die Verfassungsfrage nicht dadurch gelöst werden könnte, daß ähnlich wie im Jahre 1867 die Verfassung in Form einer Reihe von Parallelgesetzen erlassen würdeso). Als am 7. Juli 1920 Staatssekretär Mayr einen Kurzentwurf der Verfassung als Initiativantrag in der Nationalversammlung einbrachte 30 31), warf ihm Staatskanzler Renner vor, dadurch die Ergebnisse der vertraulichen Verhandlungen des Regierungskomitees preisgegeben zu haben. Von den Christlichsozialen wurde diese Vorgangsweise mit dem Argument verteidigt, daß Staatskanzler Renner keine Urheberrechte bezüglich der Verfassung zukämen32). Renner reagierte auf die Initiative Mayrs, indem er die Ergebnisse der Vereinbarungen über die österreichische Bundesverfassung, wie sie durch das Staatsregierungskomitee ausgearbeitet worden waren, in der „Wiener-Zeitung“ veröffentlichte 33). Die Erläuterungen hiezu sind wegweisend. 3. Nachdem es gelungen war, eine Proporzregierung zu bilden, gingen die Verhandlungen über die Verfassung in den Verfassungsausschuß der konstituierenden Nationalversammlung über. Am 8. Juli 1920 unterrichtete der Obmann des Verfassungsausschusses, Dr. Otto Bauer, diesen davon, daß die Parteien übereingekommen sind, „während des Sommers die Verfassung zu erstellen, hiezu solle ein Unterausschuß eingesetzt werden“ 34). Staatssekretär Mayr wurde gleichzeitig ersucht, die Protokolle der Beratungen der früheren Regierung dem Ausschuß zugänglich zu machen. Es wurde ferner beschlossen, einen Unterausschuß bestehend aus sieben Mitgliedern einzusetzen. Jede Partei solle ferner einen Ersatzmann stellen, der ständig bei den Sitzungen anwesend ist, 30) Vgl. Reichspost v. 16. 6. 1920 („Das letzte Ziel der Nationalversammlung“) Dort hieß es u. a.: „Diese Materien bieten keine allzugroßen Schwierigkeiten mehr und ebenso wie die Siebenundsechziger Verfassung aus einer Reihe von Parallelgesetzen oder auch zeitlich aufeinanderfolgenden Gesetzen bestand, könnte auch die jetzige österreichische Verfassung in ein geordnetes System verschiedener Gesetze zerlegt werden, deren Gültigkeit mit ihrer Publikation erwachsen würde und deren Inkrafttreten sogar zeitlich miteinander verbunden werden könnte. Über die Gerichtsbarkeit des Bundes, die Rechnungskontrolle des Bundes, die Grund- und Freiheitsrechte, über Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshof könnten ganz gut spätere Gesetze bestimmen“. 31) Antrag Mayr (der Entwurf wurde am 7. Juli 1920 bei der Nationalversammlung eingebracht, 888 d. B. zu den Sten. Prot, der konst. NV.) Siehe unten S. 141. 32) Vgl. Reichspost v. 8. 7. 1920. 3S) Vgl. Wiener-Zeitung v. 8. 7. 1920. Abgedruckt unten S. 193. 34) Vgl. das Prot, der 20. Sitzung des Verfassungsausschusses vom 8. Juli 1920 (Die Protokolle liegen im Parlamentsarchiv). 2