Felix Ermacora: Ergänzungsband 8. Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1920) (1967)

I. Einleitung

Einleitung 15 Die Auffassungen über die einzelnen Kompetenzbestimmungen wurden bekanntgegeben, ebenso die zu dem Vorschlag, daß „im Zweifel das Bundesrecht vor Landesrecht gehe“. Der sozialdemokratische Vertreter forderte eine Verschärfung des Satzes, nämlich: „Bundesrecht bricht Landesrecht“. Es sei dies geradezu ein wesentliches Merkmal eines Bundesstaates. Dieser Auffassung trat E n d e r entgegen, der auf den zur Austragung solcher Fragen berufenen Verfassungsgerichtshof hinwies (S. 29). Die Finanzfrage wurde in der zweiten Sitzung der Konferenz in den Vordergrund gerückt (S. 31). Die Besprechung, die zu keiner einzigen Formulierung von Seiten der Ländervertreter führte, schloß mit der nichtssagenden Bemerkung: „Der Erfolg der Konferenz liegt darin, daß durch gegenseitige Aussprache manche Differenzen überbrückt oder doch gewisse Annäherungen erzielt worden sind ... Die Länder nehmen es für sich in Anspruch, ihren Einfluß auf den weiteren Ausbau des Verfassungswerkes entsprechend zur Geltung zu bringen“ (S. 74). Wie sich zeigen wird, ist den Ländern dies nicht gelungen. Vielmehr entglitt ihnen jede Initiative bezüglich des Verfassungswerkes, keine An­regung, keine Formulierung wurde erfolgversprechend vorgebracht. Die Bundesverfassung wurde im zentralistischen Kreise beraten. Das Ergebnis hat E n d e r schon in Linz vorweggenommen: „Es haben offensichtlich die Beamten der zentralen Staatsämter ihre Hand kräftig darinnen und haben ihren Einfluß bei der Redigierung der neuen Verfassung zur Gel­tung zu bringen gewußt, und von einem österreichischen Beamten zentralen Charakters kann man nicht verlangen, daß er sich schon in einen förderalistischen Gedankengang hineingelebt hat. Man muß sich nicht verwundern, aber man kann es immerhin bedauern, daß diese Verschlechterung vorgekommen ist“ (S. 12). Die „Reichspost“ bedauerte es, daß über die Grund- und Freiheits­rechte keine Entscheidung getroffen wurde und auch die Frage der Finanzen ungelöst blieb 21). Die christlichsoziale Seite forderte, daß nun „der Staatskanzler zugreifen“ solle. 2. Nach der Linzer Länderkonferenz wurde die Verfassungsfrage in den Parteiorganen lebhaft diskutiert22 * *). Die Christlichsozialen warfen dem sozialdemokratischen Staatskanzler Renner vor, die Arbeit an 21) Vgl. Kunschak, Die Christlichsozialen und die Dänderkonferenz, in: Reichspost v. 23. 4. 1920, S. 1; vgl. auch den Kommentar in der Arbeiter-Zeitung v. 24. 4. 1920, S. 3. 22) Vgl. die Arbeiter-Zeitung v. 23. 4. („Wien soll zahlen!“); v. 27. 4. („Sozial­demokratische Verfassungsanträge“); v. 17. 5. („Renner vor den Linzer Arbei­tern“); v. 22. 5. („Herr Dr. Seipel gebe acht!“); Reichspost v. 25. 4. („Um Freiheit und Gleichheit!“); v. 27. 4. („Glöckels Verteidigung“); 1. 5. („Die Trennung Wiens von Niederösterreich“); 7. 5. (Rehrl, Die Länder und die Beamten­frage) ; v. 8. 5. (Weinberger, Kirche und Schule in der Verfassungsreform) u. a.

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