Felix Ermacora: Ergänzungsband 8. Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1920) (1967)

I. Einleitung

12 Einleitung des Bundesrates. Von deutschfreiheitlicher Seite wurde insbesondere die Notwendigkeit einer Paktierung der Verfassung unterstrichen (S. 15). In der nachfolgenden allgemeinen Debatte sprach man sich über die Frage, ob Bundesstaat oder Einheitsstaat, aus. Von sozialdemokratischer Seite wurde die Notwendigkeit des Einheitsstaates betont. Das Volk und nicht die Länder seien die maßgebenden Faktoren (S. 15); wirtschaft­liche Notwendigkeiten, Verkehrsverhältnisse und die Erleichterung eines Anschlusses an das Deutsche Reich wurden von den sozialdemokratischen Ländervertretern als Gründe für die einheitsstaatliche Struktur Öster­reichs angeführt. Der Tiroler Sozialist Abram erklärte: „Wir Sozial­demokraten sagen uns, diese Geschichte mit den ganzen Ländereien ist die überflüssigste Sache der Welt“ (S. 44). Dem standen die Meinungen der anderen Parteivertreter gegenüber. Es wurde die eigentliche ur­sprüngliche Souveränität der Länder betont (S. 17), man wandte sich gegen Unterstellungen Kelsens (S. 17), glaubte, daß Österreich auf Grund eines freien Vertrages entstehen müsse. E n d e r betonte, daß Österreichs neues Gemeinwesen seine Rechte von den Ländern bekomme (S. 29), die Frage nach der Bewährung des Zentralismus wurde gestellt (S. 29). Über die Grundsatzfrage, ob Bundesstaat oder Einheitsstaat, wurde länder- und parteiweise abgestimmt. Während die christlich­sozialen und deutschfreiheitlichen Vertreter den Bundesstaat bedingungs­los bejahten (S. 60 f.), waren die sozialdemokratischen Ländervertreter in ihren Meinungen gespalten: die Vertreter Wiens, Niederösterreichs, Oberösterreichs und der Steiermark plädierten für einen Bundesstaat unter einer Bedingung: „Wenn die Verfassung die volle Demokratie ver­bürgt und die volle Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung gewährleistet“. Die sozialdemokratischen Vertreter Salzburgs, Tirols, Vorarlbergs und Kärntens waren bedingungslos für den Einheitsstaat (unter der Voraus­setzung der Schaffung von eigenen Verwaltungskreisen „mit neuen wirt­schaftlichen Verwaltungsgebieten“ “). Der zweite, den Föderalismus betreffende Beratungsgegenstand be­zog sich auf das Ob und Wie der zweiten Kammer. Auch hier standen sich Sozialdemokraten und Christlichsoziale wie Deutschfreiheitliche gegenüber. Die Sozialdemokraten lehnten die zweite Kammer — den Bundesrat — ab. Der Bundesrat sei nicht unmittelbar demokratisch be­stellt (S. 66); er könne im Nationalrat erreichte Errungenschaften ver­eiteln (S. 76); folgende sozialdemokratische Erklärung wurde abgegeben: „Wir sind grundsätzlich für das Einkammersystem; sollte trotzdem eine Länderkammer zustande kommen, fordern wir, daß die Länder ent­sprechend ihrer Bevölkerungszahl darin vertreten sind, und daß diese Kammer nicht den Charakter eines Herrenhauses hat“ (S. 81). Nicht die Länder seien das tragende Element des Staates, sondern der Bund. Man besprach den Weg der Landesgesetzgebung und Vorschläge E n d e r s

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