Felix Ermacora: Ergänzungsband 8. Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1920) (1967)

I. Einleitung

10 Einleitung wesen. Der freie Güterverkehr innerhalb des Bundesgebietes muß ge­sichert werden. Die Bundesgesetzgebung hat die Steuerquellen auf den Bund und die Länder aufzuteilen. Andere Angelegenheiten', wie das Schulwesen und die Agrargesetzgebung, werden vom Bunde nur durch Rahmengesetze geregelt werden, deren nähere Durchführung den Ländern überlassen bleibt. Alle dem Bunde nicht vorbehaltenen Angelegenheiten fallen in die Kompetenz der Länder. Die Bundesverfassung wird über­dies die Grundrechte der einzelnen Staatsbürger und Korporationen ver­bürgen. Das Verhältnis von Kirche und Staat einschließlich der Ehegesetz­gebung ist im Rahmen der Verfassung grundsätzlich zu regeln. Solange das bisherige Verhältnis fortbesteht, sind bei künftigen Gehaltsaufbesse­rungen für die Staatsangestellten auch die Seelsorger der katholischen, evangelischen und altkatholischen Konfession zu berücksichtigen. Die Gesetzgebung des Bundes wird durch die Nationalversammlung und durch einen Bundesrat ausgeübt. Es besteht Einverständnis darüber, daß der Entwurf der Staatskanzlei bezüglich der Zusammensetzung und der Aufgaben des Bundesrates das Beispiel des deutschen Reichsrates nachahmen soll. Wenn der Bundesrat einem von der Nationalversamm­lung beschlossenen Gesetz nicht zustimmt, soll der Volksentscheid einge­holt werden. Aber auch für andere Fälle ist die unmittelbare Gesetz­gebung durch das Volk (Referendum und Initiative) vorzusehen. Bezüg­lich der Präsidentschaft soll der Entwurf der Staatskanzlei bei der gegen­wärtigen Ordnung bleiben. Gleichzeitig mit der Verfassungsreform ist die Reform der Ver­waltung durchzuführen. Die politischen Behörden erster Instanz sind so schnell und so vollständig als möglich zu demokratisieren. Das Polizei­strafverfahren ist möglichst schnell neu zu gestalten. Im Interesse des Abbaues des übermäßigen Beamtenstandes ist die vollständige Freizügig­keit der Beamten sicherzustellen. Die Schaffung einer instanzmäßigen Verwaltungsrechtspflege nach preußischem Vorbild ist ein integrierender Bestandteil der Verfassungsreform“. Auf der Grundlage dieser Koalitionsvereinbarung arbeitete Dr. Mayr einen Verfassungsentwurf aus, den er im Dezember 1919 und Jänner 1920 mit den maßgebenden Landespolitikern in den einzelnen Ländern be­sprach. Dieser Verfassungsentwurf war eine Privatarbeit, denn die Staats­regierung vermochte es nicht, einen Regierungsentwurf auszuarbeiten. Diese Säumnis der Staatsregierung führte dazu, daß die Länder die Initiative ergriffen. Auf ihren Willen, das Verfassungsproblem einer Lösung zuzuführen, ging die Einberufung einer Länderkonferenz nach Salzburg für den 15. Februar 1920 zurück. Die Teilnehmer an dieser Konferenz kamen aus den Kreisen der österreichischen politischen Parteien. Jedes Land einschließlich der Gemeinde Wien nominierte Ver­treter der sozialdemokratischen, der christlichsozialen und der groß-

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