Felix Ermacora: Ergänzungsband 8. Quellen zum Österreichischen Verfassungsrecht (1920) (1967)
Vorwort
4 Vorwort hiezu beigetragen. Die historische Interpretation des österreichischen Verfassungsgesetzes ist hiedurch erschwert. Sie führt geradezu zu Verkehrungen, wenn sie nur auf Mutmaßungen gestützt und nicht auf echte Quellenkenntnis aufgebaut wäre. Einer der Unsicherheitsfaktoren bei der Ermittlung des Werdens der österreichischen Bundesverfassung liegt in der Beurteilung der Vorgänge zwischen dem 26. August 1920 und dem 25. September 1920. Am 25. August 1920 erfahren die Sitzungen des Verfassungsunterausschusses eine formale Zäsur; denn am Ende der 11. Sitzung des Verfassungsunterausschusses gibt der Vorsitzende Dr. Seipel folgenden Arbeitsplan bekannt: „Für Mittwoch hat der Präsident der Nationalversammlung die Vertreter der Parteien einberufen, etwa Ende der nächsten Woche oder Anfang der nächstnächsten dürfte irgend eine Parteivereinbarung zustande kommen, sodaß Ende der zweitnächsten Woche der Ausschuß zusammentreten könnte und der Entwurf Mitte September vor die Nationalversammlung käme. Die Staatskanzlei wird ersucht, den beschlossenen Entwurf so schnell als möglich in der „Wiener Zeitung“ zu veröffentlichen.“ Diese Veröffentlichung wurde am 29. August 1920 vorgenommen und zwar nach dem Stand der Beratungen des Verfassungsunterausschusses vom 25. August 1920. Der so veröffentlichte Text wurde der Öffentlichkeit hiedurch bekannt. Nach dem 25. August 1920 fanden im Unterausschuß jedoch noch weitere 7 Sitzungen statt. Die Beratungen in diesen Sitzungen bezogen sich auf den oben erwähnten veröffentlichten Text. Der Verfassungsausschuß, der am 24. September 1920 zu seinen Beratungen des Verfassungsentwurfes zusammentrat, mußte eine Beratungsgrundlage gehabt haben ****), die die endgültigen Beschlußfassungen des Unterausschusses enthielt. Die legistische Praxis würde die Erstellung eines neuen Entwurfes und zwar eines den Text vom 29. August 1920 abgeänderten Entwurfes gefordert haben. Ein solcher Text ist jedoch weder in den Tageszeitungen noch in den Dokumenten der Archive (Staats-, Verwaltungs- und Parlamentsarchiv) auffindbar. Zufolge des Fehlens eines solchen endgültigen Entwurfes des Verfassungsunterausschusses sind die Beschlußfassungen des Verfassungsausschusses vom 24. und 25. September 1920, aber auch die Beschlußfassungen des Verfassungsunterausschusses in seinen Sitzungen nach dem 25. August 1920 nicht oder nur nach langwieriger, mühsamer Forschung verständlich. Das ****) In den Protokollen des Verfassungsausschusses findet sich der Hinweis, daß der Ausschuß seine Beratungen über die Verfassung auf der Grundlage des Entwurfes des Verfassungsunterausschusses vom 15. September führe. Dies muß in diesen Protokollen ein Schreibfehler sein, da aus den Protokollen und Pressemeldungen nicht ein Zeichen für einen derartigen Bericht zu entnehmen ist. Es wird wohl richtig 25. September heißen müssen. Dies fände seine Bestätigung in der Tatsache, daß der Verfassungsunterausschuß seine Beratung am Ende der 18. Sitzung, am 23. September 1920, abgeschlossen hat.