Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)
I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 4. Die Vereinigung des Kabinetts Josephs II. mit jenem Maria Theresias und die Entwicklung der Kabinettskanzlei 1780 bis 1918 .
58 nahe, einen Kabinettschef zu bestellen, der als Mittelsmann zwischen dem Souverän und den obersten Staatsgewalten dienen sowie dem Monarchen alle Kleinarbeit abzunehmen hätte, den Geschäftskreis des Kabi- nettes auf höhere Polizeisachen, Leitung des Ziffernkabinetts, Familienangelegenheiten und strikte Gnadensachen zu beschränken, alle wichtigeren Verwaltungsangelegenheiten in Versammlungen des Staatsrates, alle das Gesamtinteresse der Monarchie betreffenden Gegenstände (Krieg, Frieden, Verträge, Gesetze, bedeutsame Armee- und Finanzangelegenheiten) in Versammlungen der Staats- und Konferenzminister abzutun. Der Kabinettschef hätte den Sitzungen des Staatsrates beizuwohnen, jene der Minister in Abwesenheit des Monarchen zu leiten. Dem Chef des Kabinetts wären zwei vielseitig gebildete, erfahrene Gehilfen allenfalls unter dem Titel von Kabinettsräten und das nötige Unterpersonal beizugeben. Es ist nicht zu bezweifeln, daß der Erzherzog sich selbst an jener Stelle zu sehen wünschte101). Sowohl dieser Vorschlag als der vorher erwähnte blieb erfolglos. Die immer mehr sich steigernde Belastung des Kabinettes und des Kaisers mit schriftlichen Arbeiten zwang 1818 dazu, alle Vorträge der Zentralstellen, welche nur berichteten, daß allerhöchst signierte Bittschriften an jene Hofstelle, deren Wirksamkeit sie auch betrifft, weitergegeben wurden, abzustellen und diese Abtretung nur in den Geschäftsprotokollen, die in bestimmten Abständen dem Kaiser vorzulegen waren, ersichtlich zu machen 102). Zwei Jahre später erwies sich eine viel weitgehendere Maßnahme nötig, die auch dem Streben der Hofstellen, dem Monarchen die Verantwortung zuzuschieben, einen Riegel vorschieben sollte. Ein am 25. Februar an alle Hofstellen ergehendes Handschreiben befahl, keinesfalls über der Hofstelle zur Entscheidung zustehende Gegenstände Vorträge zu erstatten, und stellte alle Vorträge über Einleitungen hinsichtlich allerhöchster Aufträge, ordnungsgemäße Abtretung von Geschäften, Entschuldigungen wegen noch nicht erstatteten Vorträgen ab und ordnete an, daß all dies in den oberwähnten Geschäftsprotokollen anzuführen seil03). Über die mit diesem Handschreiben auch verfügte Einschränkung der Vorträge über signierte Gesuche wird an anderer Stelle gesprochen werden 104). Die von Baldacci geforderte Instruktion erhielt das Kabinett erst, als am 14. Jänner 1822 Martin zum Kabinettsdirektor bestellt wurde. Aus ihr, die mangels genügender Akten die einzige Quelle zur Erkennung der gesamten inneren Organisation darstellt, geht hervor, daß am Absehen von bestimmten Wirkungskreisen der dem Direktor untergeordi»1) Denkschrift s. d. [1808] Erzh. Rainers ZI. 219 ebenda, vgl. hiezu auch das vertrauliche Schreiben Graf Inzaghis an Erzh. Rainer, Erzh. Rainer ZI. 84, ebenda. 102) B 128 c vom 19. 2. 1815, Bill. Prot, loa) StR. ZI. 1664. i°4) S. die Ausführungen über die Bittschriften in Kapitel IV.