Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 4. Die Vereinigung des Kabinetts Josephs II. mit jenem Maria Theresias und die Entwicklung der Kabinettskanzlei 1780 bis 1918 .

56 Herrische und ungarische Angelegenheiten vorgetragen würden, Kabi­nettssekretär Andreas Neuberg den Sitzungen, in welchen allgemeine Verwaltungssachen, Systemal- und Personalfragen, Politica der Erblande mit Ausnahme der nördlichen Länder (Böhmen, Mähren, Schlesien, Ost- und Westgalizien), Justiz-, Polizei- und Gesetzgebungssachen zur Sprache kämen, und Kabinettssekretär Johann Baptist Müller jenen, in welchen Kultus- und Unterrichtsfragen und die Politica der nördlichen Länder verhandelt würden. Jedem dieser Sekretäre wurde einer der drei Kanzlisten zur Beihilfe bei der Schreibarbeit zugeteilt. Jene drei Sekre­täre besorgten auch die Bearbeitung der kurrenten Geschäfte. Andreas Neuberg hatte überdies, wie schon vorher, ein Personenregister über die vom Kaiser von der Polizei abverlangten Auskünfte zu führen. Die Stelle eines Registrators, dem die Führung der Geschäftsbücher oblag, wurde neu geschaffen90) und diesem ein Kanzlist, für welchen gleichfalls eine neue Stelle im Kabinett errichtet wurde 91), beigegeben. Einem der Kabi­nettsindividuen wurde die Behandlung der Bittschriften aufgetragen. Dem Kabinettsoffizial Josef Neuberg, der wegen seiner angegriffenen Gesund­heit zu angestrengter Arbeit nicht verwendet werden konnte, wurde die Führung der Kabinettskasse und aller hiemit zusammenhängenden Schreibarbeiten übertragen. Um sich selbst zu entlasten, übertrug der Kaiser einen Teil der von ihm bisher selbst besorgten Arbeiten Colloredo. Colloredo scheint sich selbst wenig um die Einhaltung dieser Ordnung gekümmert zu haben; im September 1805 klagte er darüber, daß sie seit längerer Zeit nicht mehr beachtet werde. Dazu kam, daß die abneh­menden Kräfte des ergrauten Müller und die Unverträglichkeit Youngs die Arbeit erschwerten °2). An Stelle des einst so guten Einvernehmens der Beamten war „immerwährender Zwist“ getreten, „der jeden Begriff von gegenseitiger Aushülfe und gemeinschaftlichem Zusammenwirken zur Chimäre machte“. Jeder versah nur den Geschäftskreis, der ihm aus­schließlich zugewiesen war. Ein „fast anarchischer Zustand“ soll in der letzten Zeit Colloredos sich ausgebildet haben 93). Diesem Zustand hatte auch die nach der Verabschiedung Colloredos erfolgte Ernennung A n- dreas Neubergs zum Kabinettsdirektor nicht abgeholfen; denn nicht mehr als einen Titel bedeutet diese. Neubergs Tätigkeit im Kabinett blieb unverändert. Als daher Kaiser Franz die Meinung des Staatsrates Baldacci über eine bessere Organisation des Kabinetts einholte, bean­") Hiezu wurde der bei der vereinigten Hofkanzlei angestellte Hofsekretär und Expeditionsdirektor Leopold Pölt in die Kabinettskanzlei einberufen. B. 84 vom 31. 1. 1803. 91) Ernennung des Supernumerärs Franz Dufour hiezu, Billet an Colloredo Juni (ohne Tag) 1803, Sammelband 41. 92) Vortrag Colloredos Sept. 1805 ohne Tag und Unterschrift, KFA., Fasz. 78 b. 93) Memoire Baldaccis s. Anm. 94, zum Teil übereinstimmend Vortrag Col­loredos s. Anm. 92.

Next

/
Thumbnails
Contents