Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 4. Die Vereinigung des Kabinetts Josephs II. mit jenem Maria Theresias und die Entwicklung der Kabinettskanzlei 1780 bis 1918 .

55 den Hintergrund gedrängt worden war, hatte sein Ziel „eine sicherere und regelmäßige Oberhand über alle Staatsgeschäfte“ zu gewinnen, er­reicht. Er beabsichtigte auch, durch Entfernung des Kabinettsdirektors Martin und Bestellung eines Mannes zu seinem Nachfolger, der sein gan­zes Vertrauen und seine besondere Geneigtheit besaß, eines Mannes, der mit vollster Hingebung Metternich verbunden war, des Konferenzproto­kollführers Sebastian Joseph von Gervay, bei gleichzeitiger Belassung in dieser Stellung, das Kabinett in die Hand zu bekommen. Ob Gegenvor­stellungen, welche Graf Clam-Martinitz dagegen erhob, ihn bewogen haben, von dieser Absicht abzugehen, oder ob in dieser Richtung unter­nommene Versuche scheiterten, wissen wir nicht. Martin blieb in seiner Stellung. In dem Brief vom 14. August 1836, mit welchem Clam seine Einwände dem Staatskanzler zur Kenntnis brachte, gebraucht der Graf so zutreffende Worte über die Stellung des Kabinettsdirektors, daß sie hier angeführt werden sollen. Er führt aus, daß „der Kabinetts Direktor des Kaisers der unbefangenste, independentste aller Staatdiener, ich möchte sagen, ein allen Autoritäten nur dem Namen nach bekannter, ein neutraler Mann seyn sollte“ 86a). Die Arbeitsweise der Konferenz wurde durch die Neugestaltung nicht berührt. Ihr kam aber nunmehr eine we­sentlich höhere Bedeutung zu als in den Zeiten Kaiser Franzens. Während des ersten Jahrzehnts der Kabinettsleitung Colloredos ver­sahen die Kabinettssekretäre und Kabinettskanzlisten die Arbeit des Ka- binettes ohne irgendeine Arbeitsteilung. Seine umfangreiche Korrespon­denz mit Thugut und später mit Cobenzl besorgte Colloredo selbst. In den letzten Monaten des Jahres 1802 scheint das Kabinett außer Stande ge­wesen zu sein, den Anforderungen des Geschäftsganges — die Zahl der Exhibiten belief sich in diesem Jahr auf 10.257 86), zu deren Bewältigung Colloredo neun Beamte zur Verfügung standen — gerecht werden zu können. Unordnung scheint eingerissen zu sein. Der Kaiser entschloß sich daher Ende Jänner 1803 auf Grund von Vorschlägen, die er vom Kabi­nettsminister einholte, die Arbeitsweise im Kabinett zu ordnen87). Die bisher ungeregelte Teilnahme der Kabinettssekretäre an den staatsrät- lichen Sitzungen wurde geregelt88). Der Kabinettssekretär Thomas Young der neben dem Kabinettssekretariat auch die Aufsicht über die Bibliothek des Kaisers und über das vermutlich dort verwahrte Handarchiv dessel­ben 89) zu führen hatte, sollte den Sitzungen beiwohnen, in welchen ita­ssa) Clam-Martinitz an Metternich 14. 8. 1836 StK., Interiora, Korrespon­denz, Fasz. 91. se) Festgestellt an Hand der Protokolle. 87) Vortrag Colloredos 28. 1. 1803, KFA., Fasz. 41, eigenhändige Aufzeich­nung des Kaisers s. d. [1803 nach I. 28] „Art die Geschäfte zu führen“ Ebenda. 88) Vgl. S. 45. 88) Siehe meine Ausführungen über das „Handarchiv Kaiser Franz I.“ im Gesamtinventar, Bd. 2, S. 31.

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