Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 4. Die Vereinigung des Kabinetts Josephs II. mit jenem Maria Theresias und die Entwicklung der Kabinettskanzlei 1780 bis 1918 .

41 ge ergab. Der neu ernannte, mit der Leitung der Staatskanzlei betraute Minister Cobenzl befand sich nicht in Wien, der nunmehrige oberste Leiter der auswärtigen Politik, Colloredo, war sich seiner Unfähigkeit hiezu so sehr bewußt, daß er sich gegen den kaiserlichen Befehl, die Vertreter fremder Staaten zu empfangen, sträubte „tant plus que je pré- vois des confusions“45), und die Leitung der Staatskanzlei führte tat­sächlich der entlassene Minister Thugut! Dies blieb der Öfftentlichkeit natürlich nicht verborgen; der Sturm, der sich deshalb neuerdings erhob, veranlaßte endlich den Kaiser am 16. Jänner 1801 Thugut aufzufordern, die Führung der auswärtigen Geschäfte zur Gänze Colloredo zu überge­ben und alles zu vermeiden, was den Anschein erwecken könne, daß er sie noch beeinflusse. Thugut erklärte wohl, diesem Befehl gehorchen zu wollen, verstand es aber, sich noch bis zum 26. Jänner in seiner Stellung zu halten. Der Kaiser hatte schon am 16. Jänner Colloredo ersucht, die Leitung der Staatskanzlei selbst zu übernehmen. Colloredo, der — wie gesagt — sich weder die Kenntnisse noch die Fähigkeiten hiezu beimaß, fand sich nur aus Gehorsam hiezu bereit, bat jedoch, ihm bis zur Rück­kehr Cobenzls einen Gehilfen beizugeben. Der Kaiser nahm als solchen den jetzt im Ruhestand lebenden, ehemaligen niederländischen Hofkanz­ler Ferdinand Grafen Trauttmansdorf, einen Gegner Thuguts und An­hänger Erzherzog Carls, in Aussicht und führte dessen Betrauung durch, obwohl Thugut und später wohl unter dessen Einfluß auch Colloredo ge­gen ihn Stellung nahmen. Colloredo befand sich ganz in den Händen Thuguts, der auch jetzt noch der wahre Leiter der auswärtigen Politik blieb; bei Colloredo kam er regelmäßig mit Trauttmansdorf zusammen, um alle wichtigen auswärtigen Angelegenheiten zu besprechen. Die Öf­fentlichkeit behauptete daher mit Recht, daß Thuguts Entfernung eine Komödie, sein Einfluß unverändert geblieben sei, und verlangte seine Entfernung von Wien. Der Kaiser sah sich schließlich gezwungen, den Minister zum Verlassen Wiens aufzufordern. Obwohl Thugut sich, zuletzt am 1. März, ehrenwörtlich verpflichtete, dieser Aufforderung baldmög­lichst nachzukommen, reiste er erst im April ab46). Sein Einfluß war allerdings hiemit nicht beseitigt, wie der reichliche Briefwechsel, den er mit Colloredo bis zu dessen Entlassung führte, beweist47). Die Arbeits­teilung zwischen Colloredo und Trauttmansdorf erfolgte in der Weise, daß sich Colloredo nur die oberste Leitung der auswärtigen Geschäfte vor­behielt; Trauttmansdorf fiel es zu, die fremden Minister zu empfangen, die Korrespondenz mit den eigenen Vertretern im Ausland und mit den fremden Vertretern zu führen, die Arbeiten der Staatskanzlei zu vertei­len. Alle wichtigeren Angelegenheiten beriet er mit Colloredo; beide un­45) Colloredo an Thugut [16. 10.] 1800, Vivenot, a. a. O., 2. Bd., S. 310. 46) Vivenot, a. a. O., 2. Bd., S. 366 ff. Vgl. auch Wertheimer, a. a. O., S. 131 ff. 47) Große Korrespondenz, Fasz. 447, Sammelband 251, s. auch Champagny an Talleyrand 4. 8. 1803, Criste, a. a. O., Bd. 2, S. 520.

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