Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)
I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 3. Das Kabinett Josephs II. bis 1780
30 Püchler mit derartigen Aushilfen betraut worden wäre11). Die zweitegeheime Kabinettssekretärsstelle hatte Freiherr von Lamine inne, dem die Kabinettskanzlisten Andreas Fier und Joseph Franz Stefan, der bisher als Offizial in der Reichskanzlei gedient hatte, beigegeben wurden. Diesen drei Männern oblag die Besorgung der erbländischen Angelegenheiten und des privaten Briefwechsels des Kaisers. Als Leiter des Kabinettes trat nach Außen hin Lamine in Erscheinung, obgleich er in der Art seiner Geschäftstätigkeit sich von den anderen durchaus nicht abhob. Neben diesen, dem Kabinett angehörenden Beamten scheint Joseph eine Zeit lang zur Erledigung der aus seiner Eigenschaft als Haupt des Hauses Lothringen erwachsenden Geschäfte noch über einen besonderen Sekretär, den von seinem Vater übernommenen Rat und geheimen Sekretär von Molitor verfügt zu haben 12). Der Bestand eines eigenen Kabinettes Josephs hatte frühzeitig zu Unstimmigkeiten mit der Reichshofkanzlei geführt, da Lamine auch Reichssachen an sich zu bringen suchte. Schon zu Anfang des Jahres 1765 hatte sich der Reichsvizekanzler Fürst Colloredo veranlaßt gesehen, deshalb schriftlich und mündlich bei Joseph vorstellig zu werden und auf eine reinliche Scheidung zu dringen. Obwohl Joseph dem Reichsvizekanzler erklärt hatte, es beim alten, der Wahlkapitulation angemessenem Herkommen belassen zu wollen, unternahm Lamine gestützt auf formale Erwägungen, die ihn zu dem Schlüsse geführt hatten, daß nur die Reskripte in die Zuständigkeit der Reichskanzlei, alle Handschreiben aber in jene des Kabinetts fielen, neuerliche Vorstöße, die den Reichsvizekanzler zur Abwehr bewogen. In einem Vortrag vom 9. Dezember 1766 erhob er gegen Lamines Ansichten neuerliche Einsprache und verwies darauf, daß nicht die Form, sondern der Gegenstand für die Zuständigkeit maßgebend sei und suchte dies für die Zeit Kaiser Franzens zu erweisen. Des Kaisers Entschließung darauf ist nicht bekannt; die Aktenlage aber läßt erkennen, daß er den Erwägungen des Reichsvizekanzlers Raum gegeben hatte 13). Der Status des Kabinettes — ein geheimer Kabinettssekretär und zwei geheime Kabinettskanzlisten 14) — erfuhr durch die mit 1. November 1770 erfolgte Aufnahme eines dritten geheimen Kabinettskanzlisten, als welJ1) Von seiner Hand z. B. Auszug aus Vortrag der Reichskanzlei s. d. [1768], Reichskanzlei, Vorträge 7 c, Nr. 49; Note an den Reichsvizekanzler Fürst Colloredo ebenda, Beilage zu Vortrag 19. 9. 1767. 12) Vortrag des Reichsvizekanzlers vom 9. 12. 1766, Reichskanzlei, Verfassungsakten, Fasz. 60, Konv. 1. Eine Überprüfung der bezüglichen Angaben ist mangels an Material nicht möglich. 13) Vorträge desselben vom 1. 3. 1765 und 9. 12. 1766 und Vortrag Lamines ohne Datum [1766 VIII. 19,—XII. 9.] ebenda. 14) Weder Roeder noch Weber gehörten, wie schon erwähnt, von der kurzen Zeit von 1769 bis 1772 abgesehen dem Status an. Staatsschematismen.