Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 2. Die Kabinette Maria Theresias

es die der Kaiserin zu liefernden kurzen Auszüge des Ein- und Auslaufes, der Interzepte und der hierüber zu verfassenden Memoires raisonnés verwahre. Maria Theresia hatte schon bald nach dem 9. November Kaiser Joseph erkennen lassen, daß sie am Bestände des Staatsrates festhalte, und hatte ihn beauftragt, mit wem er wolle, an einer neuen Einrichtung des Staatsrates zu arbeiten; sie schlug ihm vor sich hiezu Kaunitzens und Blümegens zu bedienen. In dem Schreiben, in welchem sie dies Joseph eröffnete, bemerkte sie nachdrücklich, daß die Erfüllung dieses Wunsches das einzige Mittel sei, sie dem Staate zu erhalten 77). Nun, nachdem sie die Äußerungen des Staatskanzlers über die Vorschläge ihres Sohnes ge­lesen hatte, eröffnete sie jenem ihren Entschluß, die Durchführung des Neubaues ihrem Sohne zu übertragen; zugleich aber ersuchte sie Kaunitz aus seinem Vortrag alle Stellen zu entfernen, die den Kaiser verletzen könnten, und ihr die Umarbeitung binnen acht Tagen zu übergeben78). Am 10. März hatte sie diese in Händen. Sie entsprach sachlich durchaus der früheren Ausarbeitung 79). Zwei Tage später übersandte Maria There­sia sie samt allen Gutachten, die von Staatsratsmitgliedern über eine Neu­gestaltung des Staatsrates eingefordert worden waren, dem Kaiser. Sie konnte sich nicht entschließen, in die Umwandlung des Staatsrates in ein Kabinett, sei es nun in der von Joseph vorgeschlagenen, oder in der von Kaunitz abgeänderten Form zu willigen, und bat daher Joseph jenen seiner Entwürfe, der nur eine Verbesserung des Staatsrates vorsah, zur Durchführung zu bringen80). Maria Theresia hatten hiezu mehrere Gründe bestimmt. Wie Kaunitz hatte sich auch Nenny gegen ein dirigie­rendes Kabinett ausgesprochen vornehmlich deshalb, weil er der Führung der geheimen Korrespondenz in inländischen Angelegenheiten durch den Staatsrat aus Gründen der Geheimhaltung widerraten zu müssen glaub­te 81). Die Kaiserin wollte ferner von der Einführung eines Premiermi­nisters nichts wissen, weil sie dessen beherrschenden Einfluß auf die obersten Staatsdiener und Bedrückung des Volkes durch einen solchen fürchtete. Ihre Meinung war, der Souverän „sei selbst sein Premiermi­nister, indem er die rechten Männer für die Ministerien auswählt, sie anhört und dann selbst entscheidet“. Sie fürchtete die Schädigung der Machtstellung und des Ansehens des Souveräns durch die Abhängigkeit von einem Minister 82 *) und die Rückwirkung auf die öffentliche Meinung, auf die sie sehr bedacht war 8S). Das Ergebnis der langwierigen Verhand­77) Arneth, Maria Theresia, Bd. 9, S. 316 f., Ders., Maria Theresia und Joseph, Bd. 2, S. 27 ff. 78) Hock-Bidermann, Der österreichische Staatsrat, S. 38. 7») StR., Präs., Fasz. I. 80) Fellner-Kretschmayr-Walter, Zentralverwaltung, Abt. II, Bd. 3, S. 77 f. 8>) S. Anm. 39. 82) Dorschei, Maria Theresias Staats- und Lebensanschauung, S. 47 ff. M) Ebenda S. 49 f.

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