Fritz Reinöhl: Ergänzungsband 7. Geschichte der k.u.k. Kabinettskanzlei (1963)

I. Die Entwicklung der Kabinettskanzlei - 2. Die Kabinette Maria Theresias

26 lungen trat in der Neuordnung zu Tage, die dem Staatsrate mit Hand­schreiben vom 12. Mai 1774 gegeben wurde. Diese Ordnung, welche den Geschäftsgang genau regelte, erweiterte die dem Kaiser schon zustehen­den Befugnisse und räumte ihm eine oberste Leitung des Staatsrates ein, welche es ihm ermöglichte, dessen Arbeiten und hiedurch die Entschlie­ßungen der Kaiserin zu beeinflussen84). Kaiser Josephs Plan ein diri­gierendes Kabinett zu errichten, war hiemit gefallen und er fand sich da­mit ab. Auch nach dem Tode seiner Mutter kam er nicht mehr auf ihn zurück. Die Kabinette und die spätere Kabinettskanzlei blieben — von einer kurzen Schwankung unter Kaiser Franz I. (II.) abgesehen — für die ganze Dauer ihres Bestandes das, was die Kabinette bisher waren, die Schreibstube des Monarchen. Maria Theresia pflegte von Anbeginn ihrer Regierung an über ihr unterbreitete wichtige Angelegenheiten Gutachten von Männern, denen sie ihr Vertrauen in besonderem Maß geschenkt hatte, einzuholen. Sie behielt diese Gepflogenheit auch nach der Errichtung des Staatsrates bei. Punkt 5 der ersten Instruktion desselben, der „Puncta ... in Ansehung der äußerlichen Form des Staats-Raths“, besagt unter anderem „Und über das könnten noch einzelne Räthe und Bediente, so in dem Geschäfte eine besondere Känntniss besitzen, nach ihro Mt Gutbefinden schriftlich ver­nommen werden“ 85). Hier liegt der Keim einer Einrichtung, welche für die Entwicklung der Kabinettskanzlei von großer Bedeutung, für die Ver­waltung von großem Nachteil werden sollte. Kaiser Franz II. (I.) nahm diesen Brauch, der von seinen beiden Vorgängern nur in beschränktem Maße geübt wurde, wieder auf; es entwickelten sich fest umrissene K a- binettsreferate, die mit ihren letzten Ausläufern bis in die Zeit Kaiser Franz Josephs reichten86). In ihren Privatangelegenheiten sowie in niederländischen und italienischen Sachen bediente sich Maria There­sia des Grafen Emanuel Sylva-Tarouca, den sie einmal ihren „amis intime et minister particulier“ genannt hat87). Ebenso ver­84) Fellner-Kretschmayr-Walter, Zentralverwaltung, Abt. II., Bd. 3, S. 80 ff. 85) Ebenda S. 23. 86) Hierüber wird im Abschnitt 4 gehandelt werden, zur Auffindung der betreffenden Seiten s. den Sachweiser. 87) Dorscheis Meinung, a. a. O. S. 10 f., daß Tarouca nur Gewissensrat der Kaiserin war, daß er von ihr nicht zu Staatsgeschäften herangezogen wurde, beruht m. E. auf irriger Auffassung der Äußerung Maria Theresias in ihrer Denkschrift von 1751 (Öst. Archiv Bd. 47, S. 308), daß er sich „in die Länder­und Staats-Angelegenheiten niemahlen gemischet“, worunter Angelegenheiten der Erblande und außenpolitische Angelegenheiten zu verstehen sind. Ein Gut­achten Taroucas in AKA. Fasz. 31 vom 26. 7. 1743. Vgle. hiezu auch Karajan, Maria Theresia und Graf Sylva-Tarouca. Ein Vortrag gehalten in der kaiser­lichen Akademie der Wissenschaften 30. V. 1859 insbes. S. 29 u. Anhang S. 83 Br. 43, S. 30 und Anh. S. 81 Br. 40, ferner E. Silva-Tarouca, Der Mentor der Kaiserin, Zürich-Leipzig-Wien 1960, insbes. S. 145 ff.

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